32. Treue Pflicht

[428] Mein Unglück ist zu groß,

zu schwer die Not,

so mancher Herzensstoß

dreut mir den Tod.

Mein Schmerze weiß von keiner Zahl.

Vor, nach und allemal

häuft sich die Qual.


Ein Mensch hat alle Schuld,

das mich doch liebt.

Das, weil es mir ist huld,

mich so betrübt.

Von Liebe kömmt mir alles Leid.

Ich weiß von keiner Zeit,

die mich erfreut.


Preist jemand ihre Pracht,

so wird mir weh.

Wer ihr gedenkt, der macht,

daß ich vergeh'.

Erinner' ich mich denn der Pflicht,

was Wunder ists, daß nicht

mein Herze bricht.


Licht ist ihr Augenglanz,

klar ihre Zier.

Das macht, daß ich mich ganz

verlier in ihr.

Sie hat es, was mein Herze sucht,

Scham, Schönheit, Jugend, Zucht,

der Tugend Frucht.


An ihr liegt Alles mir.

Was acht' ich mich?

Mein Sinn ist Freund mit ihr

und hasset sich.

Was ich beginne spat und früh,

Was ich gedenk, ist sie,

die Werthe, die.


Sie hat mich ganz bei sich,

das schöne Kind;[428]

jhr auch zu lassen mich

bin ich gesinnt.

Die Treue, die sie mir verspricht,

find' ich in solcher Pflicht,

sonst nirgends nicht.


Und leb ich mich gleich tot

in solcher Pein,

noch hat es keine Not;

sie, sie kans sein,

die mir das Leben wiedergiebt,

die mich so sehr betrübt,

als sie mich liebt.


Ach! daß ich ihr mein Leid

nicht klagen kan!

Ich bin von ihr zu weit

itzt abgetan.

Von Scheiden kömmt mir alle Not;

diß macht mich blaß für rot,

für lebend tot.


Läuft nun mein Glücke so?

Ach wehe mir!

O! warum ward ich froh

von ihrer Zier?

Für jene kurze Frölichkeit

hab' ich ein langes Leid

auf allezeit.


Bekenne selbst auf dich,

mein kranker Sinn,

hast du nicht Schuld, daß ich

so elend bin?

Warum bewegte dich die Gunst?

Es war ja gar umsonst

mit deiner Brunst.


Leid' ich für jene Lust,

so geht mirs recht.

Mir war nicht unbewußt,

was Frucht sie brächt'.

Und gleichwol kunt' ich ganz nicht ruhn;[429]

was mich betrübet nun,

das mußt' ich tun.


Euch klag' ich erstlich an,

ihr Augen, ihr.

Wie habt ihr doch getan,

so falsch an mir!

Verräter wart ihr meiner Pein.

Drum müßt ihr ohne Schein

und dunkel sein.


Fliest, (denn diß sollet ihr

zur Buße tun,)

hinfürder für und für,

wie vor und nun.

Quellt ewig, wie mein Schmerze quillt,

so wird mein Leid gestillt,

doch nie erfüllt.


Nicht aber läßt mein Mut

sie eins aus sich.

Das junge treue Blut

beherrschet mich,

so daß ich ganz nicht anders kan,

ich muß ihr um und an

sein untertan.


Liebt einer so, wie ich,

der sage mir,

wie er gehabe sich

bei Liebsbegier.

Ich fühle wol, was mich versehrt;

noch gleichwol halt' ich wert,

was mich gefärt.


Itzt ist es Mitternacht,

da alles ruht.

Mein munter Herze wacht,

tut, was es tut.

Es denkt, von müden Thränen naß,

von ihr ohn' Unterlaß

und weiß nicht was.
[430]

Ein Kranker, der gewiß

am Tode liegt,

der tröstet sich auf diß,

was er auch kriegt.

Das ist gewiß, ich muß dahin,

doch bleib' ich, wie ich bin,

frisch ohne Sinn.


Erbarmens bin ich wert.

Doch klagt mich nicht,

bis daß sie von mir kehrt

der Liebe Pflicht.

Doch wird Dianens Brudern Schein

eh' gehn am Himmel ein,

als dieses sein.


Mit Gott und mit der Zeit

muß Alles sein.

Ein Wechsel kehrt mein Leid

und ganze Pein.

Hat nichts als Unbestand Bestand,

so wird mein Ach zuhand

in Lust verwant.


Habt Achtung auf mein Leid,

auf meine Qual,

ihr, die ihr Wächter seid

in Amors Saal'.

Hebt alle meine Tränen auf

und schafft mir Freude drauf

für guten Kauf.


Ihr Sternen auch, die ihr

vor habt geliebt

und oftmals, wie itzt wir,

auch wart betrübt,

tut, wie man hat an euch getan,

schreibt meine Seufzer an

in Jovis Plan.


Vergess' ich meiner Pflicht,

ja, säum ich nur

und halt' ich dieses nicht,[431]

was ich ihr schwur,

so sei mir Venus nimmer gut,

so quäle sich mein Mut,

wie er itzt tut.


Nein! Ich will feste stehn.

Sie, wie sie mir verspricht,

wird auch mir gleiche gehn

und wanken nicht.

Des Herzens, das sich selbst nicht schont,

mit Treue Treue lohnt,

bin ich gewohnt.


So steht mein fester Schluß

unwiderruft.

Drauf schick' ich diesen Kuß

ihr durch die Luft.

Diß Lied auch sei von meiner Hand

als meiner Liebe Pfand

ihr zugesant.


Glückt mirs und sagt nicht nein,

der Alles fügt,

so soll sies einig sein,

die mich vergnügt,

Mein letztes Wort ist: Treue Pflicht.

Treu' ist es: der es spricht

mehr kan er nicht.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 428-432.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Gedichte
Deutsche Gedichte

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon