69. Auf eine schöne, doch unfreundliche Jungfrau

[521] Ich muß es selbst gestehn, du gleichest ganz an Schöne

der Amathusen selbst. Diß ist das güldne Haar,

das Jovis Tochter trägt, die ihm sein Häupt gebar,

so sieht Thaliens Mund bei seiner Hippokrene:


Aglaiens ist die Brust, die alle Venussöhne

für Alles achten hoch. Dich rühmt mit Rechte zwar

vom Ansehn Jederman. Und, das fast halb ist wahr,

du bist bald schöner noch als meine Basilene.


Wär' Amathusens Geist, Minervens ihr Beginnen,

Aglajens Höflichkeit und Basilenens Sinnen

so wahr hier, als ihr Leib, so wüßt ich für dir Rat.


Du wärest auf der Welt so lange nicht geblieben.

So lobt ein Jeder dich und will dich niemand lieben.

Was ist der schönste Leib, der keine Seele hat?


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 521.
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