73. Über Gedächtnüß seiner ersten Freundin

[523] Noch dennoch bleib' ich ihr, muß ich sie gleich verlassen,

und meine sie, muß ich gleich ihr entzogen sein,

bezwungen durch das Tun, das unsern Trost und Pein

verwechselt, wie es will. Ich will mein Trübnüß massen,


tun wie ein Weiser tut, ein großes Herze fassen,

sein meine, wie ich soll. Sie aller Tugend Schein,

mein Alles und auch Nichts, ist nicht und ist doch mein'.

Hass' ich das schöne Kind, so muß ich selbst mich hassen.


Verhängnüß, schone nicht, reiß sie nur immer hin,

du raubst mir ihren Leib, nicht aber ihren Sinn,

der nun und nimmermehr von mir spricht sich zu lenken.


Mir bleibt dein bester Teil, o meiner Seelen Licht,

und darf ich künftig schon, Lust, dich besitzen nicht,

so darf ich deiner doch mit Freuden stets gedenken.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 523.
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