»Und alles ohne Liebe«

[175] Die Mutter spricht: »Lieb Else mein,

Wozu dies Grämen und Härmen?

Man lebt sich ineinander ein,

Auch ohne viel zu schwärmen;

Wie manche nahm schon ihren Mann,

Daß sie nicht sitzen bliebe,

Und dünkte sich im Himmel dann

Und – alles ohne Liebe.«


Jung-Else hört's. Sie schloß das Band,

Das ew'ge, am Altare,

Und lächelnd nahm des Gatten Hand[175]

Den Kranz aus ihrem Haare;

Ihr war's, als ob ein glühend Rot

Sich auf die Stirn ihr schriebe,

Sie gab ihr Alles, nach Gebot,

Und – alles ohne Liebe.


Der Mann ist schlecht; er liebt das Spiel

Und guten Trunk nicht minder,

Sein Weib zu Hause weint zu viel,

Und ewig schrei'n die Kinder;

Spät kommt er heim, er kost, er schlägt,

Nachgiebig jedem Triebe,

Sie trägt's, wie nur die Liebe trägt,

Und – alles ohne Liebe.


Sie wünscht sich oft, es wär' vorbei,

Wenn nicht die Kinder wären,

So aber sucht sie stets aufs neu

Zum Guten es zu kehren,

Sie schmeichelt ihm, und ob er dann

Auch kalt beiseit' sie schiebe,

Sie nennt ihn »ihren liebsten Mann«

Und – alles ohne Liebe.


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 175-176.
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