Die Familie Kleist in Protzen (1752–1826)

[338] Im Jahre 1752 ging Protzen (das damals einem erst wenige Jahre zuvor in den Besitz des Guts gekommenen Albrecht Friedrich von Quast gehörig war) in die Hände des Generalleutnants von Kleist über. Die Kleiste besaßen es dann vierundsiebzig Jahre, wovon ein erheblicher Teil, mindestens einundzwanzig, auf zwei Witwenherrschaften fällt. Lassen wir diese Übergangszeiten außer Betracht, oder richtiger legen wir das jedesmalige Witweninterregnum dem voraufgegangenen eigentlichen Herrscher zu, so folgen sich nachstehende drei Kleiste im Besitze von Protzen:

Generalleutnant Franz Ulrich von Kleist, einschließlich Witwenherrschaft von 1752–1770; Fähnrich Gustav von Kleist, einschließlich Witwenherrschaft von 1770–1803; Louis von Kleist, später Generalleutnant, von 1803–1826.


Protzen von 1752–1770


Generalleutnant von Kleist, so scheint es, begann damit, Park und Herrenhaus standesgemäß herzurichten. Letzteres zeigt über der Eingangstür noch das Doppelwappen der Kleist und Lepel, welcher letztern Familie die Gemahlin des Generalleutnants angehörte. Die Anwesenheit des Generals auf seinem Gute war aber immer nur eine kurze; der Dienst hielt ihn fern. Welche Truppen er kommandierte, ist aus den Aufzeichnungen, die ich[338] benutzen konnte, nicht ersichtlich. 1756 rückte er mit in Sachsen und Böhmen ein und erlag am 13. Januar 1757 seinen in der Schlacht bei Lobositz erhaltenen Wunden. Das Protzener Kirchenbuch schreibt Logoschütz. Aber selbstverständlich kann nur Lobositz gemeint sein.

Nun begann die Herrschaft der verwitweten Frau Generalin. In die Zeit ihrer Regentschaft, also bevor der minorenne Sohn eintrat, fällt das große Ereignis Protzens während des vorigen Jahrhunderts: der Tod eines preußischen Prinzen im dortigen Herrenhause.

Über diesen Tod berichtet der alte Pastor Schinkel im Protzener Kirchenbuche wie folgt: »Den 16. Mai 1767 traf S.K.H. Prinz Friedrich Heinrich Karl von Preußen auf dem Marsche von Kyritz nach Berlin mit seinem Regimente hier ein. Er nahm bei unserer Frau Generallieutenant von Kleist Quartier, in der Hoffnung, nach hier zugebrachter Nacht am anderen Morgen weiter zu rücken. Es zeigten sich jedoch die Pocken, so daß S.K.H. sich genötigt sahen hier zu bleiben. Geschickte Doctorens61 wandten alle Mittel an, diesen theuren und liebenswürdigen Prinzen zu retten, Gott verhängte es aber anders, so daß, nachdem die weißen Frieseln dazu schlugen, dieser allerliebste Prinz den 26. Mai, 8 Uhr abends seinen Geist aufgeben mußte. Ein trauriges Andenken, so die späten Zeiten nicht vergessen werden. Den 28. Mai 11 Uhr abends wurde die hohe Leiche durch Offiziere unter Leuchtung vieler Lichter in das hiesige Gewölbe gesetzet und am 7. Juni, als am ersten Pfingsttage, von hier aus nach Berlin gebracht. Dieser hochselige Prinz war am 30. November 1747 geboren, also kaum neunzehn Jahre fünf Monate alt geworden.«

Ich lasse dieser schlichten Kirchenbuchaufzeichnung noch einige Notizen folgen.

Prinz Heinrich, damals gemeinhin – zum Unterschiede von seinem berühmten Oheim in Rheinsberg – der junge Prinz Heinrich genannt, war der Sohn des 1758 zu Oranienburg verstorbenen Prinzen August Wilhelm von Preußen. Er war also Neffe Friedrichs des Großen, wie zugleich jüngerer Bruder des späteren Königs Friedrich Wilhelms II. Friedrich der Große bezeigte ihm von dem Augenblick an, wo die Kriegsaffären hinter ihm[339] lagen, ein ganz besonderes Wohlwollen. Dies war ebenso sehr in den allgemeinen Verhältnissen, wie in den Eigenschaften des jungen Prinzen begründet. Dieser erschien von ungewöhnlicher Beanlagung, war klug, voll noblen Denkens und hohen Strebens, dabei gütig und von reinem Wandel; was indessen den König in all seinen Beziehungen zu diesem Prinzen eine ganz ungewöhnliche Herzlichkeit zeigen ließ, war wohl der Umstand, daß er sich dem verstorbenen Vater des Prinzen gegenüber, dem er viel Herzeleid gemacht hatte, bis zu einem gewissen Grade verschuldet fühlte, eine Schuld, die er abtragen wollte, und an den älteren Bruder (den spätern König Friedrich Wilhelm II.), der ihm aus verschiedenen Gründen nicht recht zusagte, nicht abtragen konnte.

Prinz Heinrich hatte 1762 den lebhaften Wunsch geäußert, dem Könige bei Wiederbeginn der Kriegsoperationen sich anschließen zu dürfen. Friedrich lehnte jedoch ab, da der junge Prinz erst vierzehn Jahre alt war. Erst nach erfolgtem Friedensschluß wurde er von Magdeburg, wo er garnisonierte, nach Potsdam gezogen und trat als Hauptmann in das Bataillon Garde. Er gehörte nunmehr einige Jahre lang zu den regelmäßigen Mittagsgästen des Königs und begleitete diesen auf seinen Inspektionsreisen durch die Provinzen. 1767 im April übersiedelte der Prinz nach Kyritz, um nunmehr die Führung des hier stehenden Kürassierregiments oder auch nur eines Teils desselben zu übernehmen. Dies Kürassierregiment waren die berühmten »gelben Reiter«, deren Chef der Prinz bereits seit 1758 war.

Der Übernahme des Kommandos folgte, wenige Wochen später, jene Katastrophe, die ich, nach den Aufzeichnungen des Protzener Kirchenbuches, vorstehend mitgeteilt habe.

Rittmeister von Wödtke brachte die Trauerkunde dem Könige. Dieser war in seltenem Grade bewegt. Einer der höheren Offiziere sprach dem Könige Trost zu und bat ihn, sich zu beruhigen. »Er hat Recht«, antwortete Friedrich, »aber Er fühlt nicht den Schmerz, der mir durch diesen Verlust verursacht wird.« – »Ja, Ew. Majestät, ich fühle ihn; er war einer der hoffnungsvollsten Prinzen.« Der König schüttelte den Kopf und sagte »Er hat den Schmerz auf der Zunge, ich habe ihn hier.« Und dabei legte er die Hand aufs Herz. Eine ähnlich tiefe Teilnahme verraten seine Briefe. An seinen Bruder Heinrich in Rheinsberg schrieb er: »Ich liebte dieses Kind wie mein eigenes« und an Tauenzien meldete er in der Nachschrift zu einer dienstlichen Ordre »Mein lieber Hendrich ist todt.«

Kehren wir, nach diesem biographischen Exkurs, nach Protzen[340] zurück. Die Geschwister des Prinzen übersandten der verwitweten Generalin von Kleist wertvolle Zeichen der Dankbarkeit und das Ereignis selbst wurde seitens dieser letztern durch zwei bildliche Darstellungen im Sterbezimmer lokalisiert. Ein Loyalitätsakt, der mir, nach der Huldigungsseite hin, etwas zu weit zu gehen und die Schönheitslinie zu überschreiten scheint. Ob die Gemälde noch existieren, hab ich nicht erfahren können; aber das Giebelzimmer, in dem der junge Prinz verstarb, heißt noch immer das »Prinzenzimmer«.


Protzen von 1770–1803


Um 1770 ging Protzen (aus der Hand der verwitweten Generalin) an ihren Sohn Gustav von Kleist über. Da das Gut seit 1757 bereits auf einen neuen Herrn harrte, dessen Majorennität eben nur abzuwarten war, so hatte dieser letztere nicht Zeit, es auf der militärischen Rangleiter zu einer seinem Namen angemessenen Stufe zu bringen. Er schied als Fähnrich aus dem Regiment Prinz Ferdinand (in Ruppin), in dem er bis dahin gestanden hatte.

Da er selber fühlen mochte, daß dies wenig sei, so war er bestrebt, einigermaßen nachzuhelfen, und erwarb sich ein Johanniterkreuz. Er hieß nun nicht länger Fähnrich von Kleist, sondern Johanniter von Kleist, und unter diesem Namen, der in dieser eigentümlichen Verwendung wohl nur einmal vorkommen dürfte, hat er vierundzwanzig Jahre lang seine Regierung von Protzen geführt.

Unser »Johanniter-Kleist« war ein braver Mann, dem im Kirchenbuche die »Aufrechterhaltung guter Ordnung« eigens nachgerühmt wird. Er muß diesen Ruhm, aufs allgemeine hin angesehen, umso mehr verdient haben, als er im besonderen mit seinem Geistlichen, dem Prediger Friedrich Arnold Dietrich Sachse, in einer beständigen Fehde lebte.

Über die damaligen Beziehungen zwischen Patron und Pfarrer ein kurzes Wort.

Friedrich Arnold Dietrich Sachse, aus Soest in Westfalen gebürtig, war, wie es scheint, ein echter Westfälinger, groß, stark, ein tapferes Herz, aber auch rücksichtslos wie so oft die »tapferen Herzen«, besonders wenn sie von der roten Erde stammen. Vor allem war er ein Original.

Die Bekanntschaft zwischen Kleist und Sachse machte sich bei Tisch im Herrenhause zu Lenzke, wo damals Baron de la Motte-Fouqué[341] lebte, der Sohn des berühmten Generals und der Vater des berühmten Dichters. In diesem Hause fungierte Sachse als Präzeptor. Als das Dessert aufgetragen wurde, fragte Fouqué seinen Gast (von Kleist), »wie es mit der Pfarre in Protzen stehe, und ob er die Vakanz schon wieder besetzt habe?« – »Seit einer halben Stunde hab' ich sie besetzt«, antwortete dieser. – »Mit wem?« – »Mit dem hier sitzenden Kandidaten Sachse.« Es scheint danach, daß die bedeutende Persönlichkeit des letzteren ihres Eindrucks auf von Kleist nicht verfehlt hatte.

Sachse übersiedelte nun, und mochte sich anfangs seinem Patron gegenüber, der ihn, in so schmeichelhafter Weise, in die Protzener Pfarre eingesetzt hatte, zu Dankbarkeit verpflichtet fühlen. Aber Dankbarkeit dauert nicht lang, am wenigsten, wenn die Interessen in Krieg geraten. Sachse glaubte sich benachteiligt, und so entstand ein Prozeß, der im Herrenhause so böses Blut machte, daß Kleist, als um eben diese Zeit ein Spritzenhaus errichtet werden mußte, dasselbe so aufführen ließ, daß der Bau wie ein Schirm zwischen ihm und der Pfarre stand. Er wollte die Pfarre nicht mehr sehen.

Sachse überlebte seinen Patron um viele Jahre, stand im allgemeinen, wie fast immer imponierende Persönlichkeiten, auf gutem Fuß mit der Gemeinde, war ihr Orakel, ihr Ratgeber und Helfer, und vereinigte, neben einzelnen Schwächen, alle Tugenden des alten Rationalisten in sich. Das Protzener Kirchensiegel bewahrt sein Andenken. Die Inschrift desselben rührt allerpersönlichst von ihm her und lautet: »Natur und Vernunft.« Damit ist alles gesagt.


Protzen von 1803–1826


Der Johanniter-Kleist starb schon 1794. Wieder trat eine Witwenherrschaft ein, die wenigstens bis 1803, vielleicht auch noch um einige Jahre länger dauerte; dann ging das Gut, aber durch Kauf, an einen Neffen oder Vetter des Johanniter-Kleist über, und zwar an den damaligen Rittmeister oder Major Louis von Kleist, Sohn des sogenannten Magdeburg-Kleist, welcher letztere 1806 durch Übergabe dieser Festung an den Feind so viel Unheil für das Land und zugleich so viel Bitteres und Schmerzliches für die Familie heraufbeschwor. Ich verweile hierbei nicht, nur das mag gesagt sein, daß mir diejenigen nicht ganz unrecht zu haben scheinen, die der damaligen, militärischen Oberleitung – seitens deren ein kranker, beinahe achtzigjähriger Mann mit der[342] Verteidigung der wichtigsten Festung des Landes betraut wurde – die größere Hälfte der Schuld zuzuschieben geneigt sind.

Louis von Kleist litt in seinem Herzen schwer unter der Verschuldung des Vaters. Er selbst war eine hervorragend entschlossene Persönlichkeit, groß, schön, ein brillanter Reiter, und zeichnete sich während der Befreiungskriege bei den verschiedensten Gelegenheiten aus. Er blieb Soldat auch nach dem Feldzug, und traf immer nur besuchsweise in Protzen ein. 1815 war er Oberst 1831 stand er in Neiße, wahrscheinlich als Kommandeur einer Division. Bei seinem Hinscheiden war er Generalleutnant.

Als Beweis für seine Energie erzählen sich die Protzener, daß er sein seitens der Ärzte schlecht kuriertes Bein (er hatte sich beim Sturz mit dem Pferde den Oberschenkel gebrochen) durch einen »Wunderdoktor« aus der Fehrbelliner Gegend neu brechen und dann wieder heilen ließ. Die Prozedur glückte vollkommen. Er hatte seitdem eine geringe Meinung von der Kunst der rite promovierten Doktoren, der er bei jeder Gelegenheit Ausdruck gab.

Schon 1826, also fünf, sechs Jahre vor dem Tode von Kleists, war Protzen durch Kauf an den Freiherrn von Drieberg übergegangen.

61

Die »Doctors«, die hier tätig waren, waren drei an der Zahl: zunächst Dr. Feldmann aus Ruppin, dann Cothenius, der Leibarzt des Königs, schließlich Geh. Rat Dr. Mutzel aus Berlin.

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 9, München 1959–1975, S. 338-343.
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