Kammerherr von Drieberg in Protzen
von 1826–1852

[343] Kammerherr von Drieberg, vielen meiner Leser aus den vierziger Jahren her als »Luftdrucks-Drieberg« bekannt, war um 1790 geboren. Sein Vater, seinerzeit Rittmeister im Regiment Gardes du Corps, besaß das zwei Meilen von Protzen gelegene Gut Kantow.

Der junge Drieberg wuchs wild auf. Die Gründe für diese Vernachlässigung seiner ersten Erziehung gehören nicht hierher. Erst von seinem vierzehnten Jahre an änderte sich's, und was bis dahin versäumt worden war, wurde nun nachgeholt. Hauslehrer und Sprachmeister mußten ihr Bestes tun. Besonders wurde die Musik gepflegt, für die von Drieberg ebenso viel Liebe wie Beanlagung zeigte. Diese Beanlagung war so groß, daß eine Zeit lang die Absicht herrschte, ihn Musik studieren zu lassen. Er wurde zu diesem Behufe nach Frankreich geschickt, und war Schüler des Konservatoriums, als 1814 die Verbündeten in Paris einrückten.

Bald darauf kehrte von Drieberg nach Deutschland zurück, um in Berlin seine Studien fortzusetzen. Diese Studien umfaßten[343] die mannigfachsten Gebiete. Außer der Musik waren es die Naturwissenschaften, besonders physikalische Untersuchungen, die ihn schon damals interessierten. In den zwanziger Jahren verheiratete er sich mit einem Fräulein von Normann und kaufte bald danach Protzen, dessen Hebung er sich nunmehr angelegen sein ließ. Ob er immer die rechten Mittel wählte, stehe dahin. Frau von Drieberg, die ihn dabei unterstützte, stellte beispielsweise den Satz auf, »daß knappe Fütterung das beste Mittel sei, von den Kühen einen starken Milchertrag zu erzielen«.

Dies alles war übrigens aufrichtig gemeint, und hatte keineswegs in einem Ökonomisierungshange seinen eigentlichen Grund. Es war einfach originelle Theorie, wie die vom »Luftdruck«, die der Herr Gemahl gleichzeitig mit so viel Eifer verfocht.

Der landwirtschaftliche Betrieb war anfechtbar, desto mehr bewährte sich von Drieberg in seinen Parkanlagen. Seine Talente lagen eben mehr nach der Seite des Ästhetischen als des Praktischen hin. Der Protzener Park war damals einer der schönsten im Kreise, dreißig Morgen groß, mit den prachtvollsten Bäumen bestanden, dazwischen Blumenbeete, Wasser- und Rasenflächen.

Außer der Pflege des Parks widmete sich Drieberg nach wie vor der Musik und – der Gesellschaft.

Das Protzener Herrenhaus galt als der gastlichsten eines. Mit fast allen Familien der Nachbarschaft wurde Verkehr unterhalten, vorzugsweise mit dem Landrat von Zieten in Wustrau, mit der Majorin von Zieten in Wildberg und mit der Familie von Winterfeldt in Metzeltin. Auch aus Berlin kamen Freunde herüber, besonders wenn »Aufführungen« den Mittelpunkt der Festlichkeit bildeten. Das Künstlerische, namentlich das Musikalische, wurde indessen zu sehr betont, und zwar nicht bloß im gesellschaftlichen Kreise, sondern auch im Leben. Wie mir Häuser bekannt geworden sind, in denen jeder, der nicht einen Band lyrischer Gedichte herausgegeben hatte, nicht eigentlich für voll angesehen wurde, so stand es auch im Driebergschen Hause hinsichtlich der Musik. Ein vom Klavierspiel reingebliebener Pfarrbewerber wurde befragt: »ob er auch musikalisch sei?«, worauf er, in richtiger Erkenntnis, daß er nun doch verspielt habe, pikiert antwortete, »er habe sich um die Prediger- und nicht um die Kantorstelle beworben«.

Neben Park und Musik gehörte die Zeit den Wissenschaften. Von Drieberg hatte ganz den Typus des Gelehrten, des Büchermenschen. Seine Kleidung war die schlichteste von der Welt; nicht auf Stoff und Schnitt kam es ihm an, sondern lediglich auf[344] Bequemlichkeit. Er konnte sich deshalb von alten Röcken nicht trennen. Als seine Tochter einen derselben an einen Tagelöhner verschenkt hatte, bat er ihn sich wieder aus und zahlte dafür.

Seine Studien, wie schon erwähnt, gingen meist nach der naturwissenschaftlichen Seite hin. Er war ein Tüftelgenie aus der Klasse der Perpetuum-Mobile-Erfinder und konstruierte sich eine Flugmaschine, mit der zu fliegen er glücklicherweise nicht in Verlegenheit kam. Er begnügte sich damit, sie »berechnet« und gezeichnet zu haben, und gab den Bau als zu kostspielig wieder auf.

Seinen Hauptruhm zog er Anfang oder Mitte der vierziger Jahre aus seinem großen Zeitungskrieg in der »Luftdrucksfrage«. Die Leute von Fach zuckten die Achseln und mochten in der Tat aus jedem Satze Driebergs erkennen, daß es diesem an allem wissenschaftlichen Anrecht gebräche, in die Diskussion einer solchen Frage einzutreten, die Laienwelt aber, die bekanntermaßen einen natürlichen Zug der Winkeladvokatur und eine Vorliebe für die Franktireurs der Wissenschaft hat, stand günstiger zu ihm und freute sich offenbar, in der Partie »Drieberg gegen Newton« für unsern Protzener Kammerherrn, wenn auch nur ganz im stillen eintreten zu können. Der Kern der Sache war, daß von Drieberg den Luftdruck bestritt und seinerseits aufstellte, »das Quecksilber werde nicht durch eine Luftsäule von bestimmtem Gewicht emporgedrückt, sondern hänge vielmehr an dem luftleeren Raum der Barometerröhre, ziemlich genau so wie ein Eisenstab an einem Magnete hänge«. Diese Aufstellung besaß etwas Blendendes, und zwar umso mehr, als jeder luftleere Raum in der Tat eine gewisse Zug- und Saugekraft ausübt. Aber nur der Laie konnte flüchtig dadurch bestochen werden. Nach mehrmonatlichem Streit erstarb die Fehde; niemand spricht mehr davon und nur der Beiname »Luftdrucks-Drieberg« ist in der Erinnerung derer geblieben, die jene Zeit noch miterlebt haben.

Was seine kirchlichen Anschauungen angeht, so hielten sie die Höhe seiner Flugmaschine und entsprachen genau der Inschrift des vorerwähnten Protzener Kirchensiegels: Natur und Vernunft.

1852 vermählte von Drieberg seine einzige Tochter Valeska (vier andere waren vorher gestorben) an den Rittmeister von Oppen, der damals bei den Gardes du Corps in Charlottenburg stand. Von Drieberg entschloß sich deshalb, Protzen zu verkaufen. Es wurde seinem Herzen nicht leicht, aber die Liebe zu seinem Kinde siegte schließlich über die Liebe zu seinem Park.[345] Und so übersiedelte er denn. In den fünfziger Jahren starb er und ruht auf dem Charlottenburger Kirchhofe.

Was den Drieberg-Tagen in Protzen folgt, ist von geringerem Interesse.

Das nächste Kapitel mag uns deshalb nach Garz, dem alten Besitze der Quastschen Familie, führen.

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 9, München 1959–1975, S. 343-346.
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