Wust 1820

[360] 1820 waren auch diese beiden Söhne hinüber. Wunderliche Zeiten hatte Wust derweilen gesehen.

Der älteste der beiden Söhne war auch ein Hermann von Katte. Er hatte von seinen Eltern die Vergnügungssucht, den Hang zur Verschwendung geerbt. Die schon zerrütteten Finanzen wieder in Ordnung zu bringen, dazu war er am wenigsten angetan. Jener Rolas du Rosey-Reichtum, der dreißig Jahre lang den Extravaganzen der Eltern widerstanden hatte, jetzt brach er zusammen. Dieser Hermann von Katte hatte den Beinamen der »Spieler«. In der Umgegend von Wust mied man ihn, und so kam es, daß er Kunstreisen in die großen Städte machte. Solange es sich ermöglichte, trat es standesgemäß auf, ja über Stand und Verhältnisse hinaus. In Leipzig erschien er mit Equipage und vierspännig, und als alles verspielt war, setzte er noch die Equipage auf eine Karte und kam per Fahrpost nach Wust zurück. Die Verpflichtungen häuften sich und die Schuldhaft wurde gegen ihn ausgesprochen. Tagelang ging die Auktion. Er selber wurde inhaftiert und nach Stettin auf die Festung abgeführt.

Dies war zu Anfang des Jahrhunderts, und Wust ging um diese Zeit an den jüngeren Bruder Ferdinand von Katte über. Ob er die Erbschaft des devastierten Gutes gleich antrat, ist nicht mit Bestimmtheit zu ersehen; erst nach Schluß der Napoleonischen Kriege scheint er auf dem Gute Wohnung genommen zu haben. Er führte den Beinamen der »Stiefel Katte«. Völlig geistesgestört, war er nur von einer einzigen Leidenschaft beherrscht, und zwar von dem Verlangen, so viele Stiefel wie möglich zu besitzen, große und kleine, alte und neue, für jede neue Situation oder Beschäftigung auch neue Stiefel, Stiefel zum Fahren, zum Gehen, zum Reiten, Jagdstiefel und Tanzstiefel, alle von den verschiedensten Formen und Farben und von jeglicher Art von Leder. An diese Passion setzte er den Rest vom Vermögen, den die Verschwendungssucht[360] der Eltern und die Spielsucht des Bruders ihm übriggelassen hatte. Die Stiefelsucht tat das letzte. Er wurde unter Kuratel gestellt; aber es war zu spät. Die volle Verwüstung der einst so schönen Besitzung hatte bereits Platz gegriffen: die Statuen im Park wurden zerschlagen und bildeten auf Jahrzehnte hin den Steinbruch für alle Fundamentbauten im Dorf, die Akten und Briefschaften, darunter mutmaßlich Dinge von unschätzbarem Wert, wurden zum Heizen und Gänsesengen benutzt, und die kostbaren alten Familienbilder, aus ihren Barockrahmen herausgeschnitten und mit zwei angenähten Hängseln versehen, mußten es sich gefallen lassen, als Maurerschürzen vorgebunden zu werden. So gingen die Dinge, bis zuletzt die Zerstörung aufhörte, nur deshalb, weil von offen Daliegendem und jedem Zugänglichen nichts mehr zu zerstören war. Ein Verwalter, dem, bis zur Regelung aller Verhältnisse, die Verwaltung des Gutes übergeben wurde, zog in einen Seitenflügel; das alte Herrenhaus selbst wurde geschlossen. Und dies war ein Glück. Was noch in Boden- und Giebelstuben versteckt, in Ecken und Winkeln vergraben lag, war nunmehr gerettet und konnte in einer andern Zeit, die heraufdämmerte, wieder gefunden und geborgen werden.

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 11, München 1959–1975, S. 360-361.
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