Friedrichsfelde von 1800 bis 1810
Prinzessin von Holstein-Beck

[132] 1799 kam Friedrichsfelde an den Geheimen Oberhofbuchdrucker Georg Jakob Decker, der es aber schon, vor Ablauf eines Jahres, am 29. März 1800, an die Herzogin Katharina von Holstein-Beck wieder verkaufte. Diese bewohnte es bis zu ihrem Tode, der am 20. Dezember 1811 erfolgte.

Prinzessin Katharina von Holstein-Beck war am 23. Februar 1750 geboren. Ihre Mutter war eine Gräfin oder Fürstin Golowin, ihr Vater aber Peter August, Herzog von Holstein-Beck, russischer Generalfeldmarschall und Gouverneur von Estland. Prinzessin Katharina vermählte sich am 8. Januar 1767 zu Reval mit dem Fürsten Iwan Baratynsky, der damals russischer Oberst war. Ihre Ehe wurde geschieden, oder man lebte wenigstens getrennt. Die Kinder verblieben in Rußland, indessen begegnen wir 1802 einem Fürsten Iwan von Baratynski als Taufzeugen in Friedrichsfelde. Es scheint also, daß der älteste Sohn zur Mutter stand. Diese war fünfzig Jahr, eine kluge, heitere, noch hübsche Frau, als sie in Schloß Friedrichsfelde einzog. Es lebten bis vor kurzem noch Personen, die sie gekannt hatten. Den Mitteilungen dieser verdanke ich das Nachstehende.[132]

Die Prinzessin von Holstein-Beck kam 1800 oder vielleicht auch erst 1801 zu uns. Was zu einer Trennung vom Fürsten Baratynski geführt hatte, war nie in Erfahrung zu bringen. Sie war aber voll so tiefer Abneigung gegen ihn, daß sie seinen Namen nicht tragen wollte und in Preußen, unter Gutheißung des Königs, ihren Geburtsnamen Holstein-Beck wieder angenommen hatte.

Sie lebte ganz auf großem Fuße und unterhielt intime Beziehungen zum preußischen Hofe, besonders nachdem dieser 1809 von Königsberg und Memel wieder in Berlin eingetroffen war. Leicht erklärlich. Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise waren in Petersburg gewesen und hatten angenehme Bilder und Eindrücke von dorther heimgebracht; Kaiser Alexander stand den Herzen beider nahe, Freundschaftsgelübde waren geleistet worden; alles Heil konnte, der allgemeinen Annahme nach, nur von Rußland kommen. Unter diesen Verhältnissen mochten die Beziehungen zur Prinzessin einen doppelten Wert haben; vielleicht daß sie ein Glied in der Kette damaliger politischer Verbindungen war.

Gleichviel, der Hof war mannigfach bei der Prinzessin in Friedrichsfelde zu Besuch, auch schon in der voraufgegangenen Epoche von 1801 bis 1806, Königin Luise erschien dann mit Pagen und Hofdamen, der Militäradel schloß sich an und über hundert Equipagen hielten in langer Reihe vor dem Schlosse. Mit Fackeln ging es spät abends wieder heim.

Sie selbst (die Prinzessin), wenn sie nach Berlin fuhr, fuhr immer mit sechsen; da sie aber keinen Marstall unterhielt, so wurden drei Paar der besten Bauernpferde genommen und die Bauern selbst ritten das Leinepferd. Später, aus gleich zu erzählenden Gründen, wurde das anders. Ihr Vertrauter nämlich, ein Franzose niederen Standes, dessen Erhebung zum »Chevalier« sie durchzusetzen gewußt hatte, machte Unterschleife, floh und wurde verfolgt. Man wurde seiner habhaft, bracht' ihn vor die Gerichte, und eine strenge Strafe war bereits verhängt, als ein Fußfall der Prinzessin, deren alte Neigung wieder wach geworden war, intervenierte. Die Strafe wurde nun niedergeschlagen und der »Chevalier«, als wäre nichts vorgefallen, zog wieder in allen Ehren in Friedrichsfelde ein. Aber eine Sühne blieb doch zu leisten: die Prinzessin mußte versprechen, von nun ab statt mit sechsen nur noch mit vieren zu fahren. Das geschah denn auch, und alle Teile hatten ihren Frieden.

Das Leben in Friedrichsfelde war um diese Zeit das heiterste.[133] Eine ernstere Pflege der Kunst fiel niemandem ein, aber man divertierte sich so oft und so viel möglich. Es gab Schau- und Schäferspiele teils in geschlossenen Räumen, teils im Freien. Das »Theater im Grünen«, ähnlich dem Rheinsberger, ist noch deutlich zu erkennen, trotzdem das Strauchwerk jener Jahre mittlerweile zu stattlichen Weißbuchen aufgewachsen ist. Das Ganze eine wieder freigewordene, aus Zwang und Fesseln erlöste Natur!

Die Dorfbevölkerung nahm teils zuschauend, teils aktiv an diesen Szenen teil, was auf den ersten Blick viel Anheimelndes und Bestechendes hatte. Sehr bald indessen stellte sich's heraus, daß Arbeitslust und Sitte zurückgingen und daß dem Dorfe kein Segen daraus erwuchs, als Landschaft und Staffage für das Vergnügen vornehmer Leute gedient zu haben.

Harmloser war der alljährlich wiederkehrende »Erntekranz«. Dann wurd' ein Jahrmarkt abgehalten, unter den Bäumen des Parks gegessen und getanzt, und an den Buden, natürlich ohne Einsatz, gewürfelt und gewonnen.

Ein kleines, sehr hübsches Mädchen aus dem Dorfe war das Patchen und der Liebling der Prinzessin, die Puppe, mit der sie spielte. War die Prinzessin bei Tafel allein, so wurd' an einem kleinen Tische daneben für das Kind gedeckt, und kam Besuch, so war »Patchen« – wie der Kakadu oder der Bologneser – der immer beachtete Gegenstand, an den sich alle Zärtlichkeiten der Gäste richteten.

Die Prinzessin galt für sehr reich; es hieß, daß sie täglich 1500 Taler verausgabe. War dem wirklich so, so war es Baratynskisches Vermögen. Außer Friedrichsfelde besaß sie, in Berlin selbst, ein Haus am Pariser Platz, das jetzige französische Gesandtschaftshotel.

Sie starb, wie schon eingangs hervorgehoben, im Winter 1811 auf 1812 und ihre Leiche sollte nach Rußland, entweder auf die Baratynskischen oder die Holstein-Beckschen Güter geschafft werden. Die Friedrichsfelder waren zum Transport um so lieber bereit, als ihnen für die Fahrt bis Memel (dort wartete russisches Fuhrwerk) 400 Taler geboten wurden. Es zerschlug sich aber wieder und kam statt dessen zu einem Pakt mit jener moskauastrachanischen Karawane, die damals alljährlich, in den ersten Wintermonaten, Kaviar nach Berlin zu bringen pflegte. Dies waren in der Regel fünfzig Schlitten, jeder mit einem Pferd und am Hals jedes Pferdchen ein Glöckchen. Auf den vordersten dieser Schlitten wurde, bei der Rückfahrt, der Sarg gestellt, und die lange Karawane hinter sich, ging es nun im Schritt bis an die[134] russische Grenze, – die Winterstille nur durch den Ton der Glöckchen unterbrochen.

Friedrichsfelde von 1812 bis 1816
König Friedrich August von Sachsen

Nach dem Tode der Prinzessin von Holstein-Beck wurde Friedrichsfelde durch einen Bevollmächtigten der Baratynskischen Familie verwaltet. In diese Administrationszeit fällt der Aufenthalt, bzw. die Staatsgefangenschaft des Königs von Sachsen an dieser Stelle.

Wir finden darüber folgendes:

Der König von Sachsen, nach der Einnahme Leipzigs durch die Verbündeten, war deren Gefangener. Am 23. Oktober 1813 erfolgte seine Abreise nach Berlin; am 26., morgens 4 Uhr, traf er in der preußischen Hauptstadt ein und wurde daselbst mit vielen Ehren (so sagt das Tagebuch eines sächsischen Kavaliers) empfangen. Von Leipzig aus hatten hundert Kosaken mit drei Offizieren den Wagen des Königs umgeben. Außerdem begleiteten ihn Fürst Galizin und Baron Anstetten.

Der König bezog Wohnung im Berliner Schlosse und verblieb daselbst bis zum Sommer 1814. Um diese Zeit aber wurd' ihm die preußische Hauptstadt unbequem, denn das »Berliner Volk« zeigte sich wenig respektvoll; die Tage von Großbeeren und Dennewitz stimmten es zum Groll und die altfränkische Art des sächsischen Hofes zum Spott. Beidem wollte der König entgehn. Er suchte daher nach, das dem russischen Fürsten Baratynski zugehörige Schloß Friedrichsfelde, selbstverständlich gegen eine Miets- oder Entschädigungssumme, beziehen zu dürfen.

Dies wurde gewährt.

Am 26. Juli 1814 erfolgte der Umzug, wobei ein Unteroffizier und zehn Mann preußischer Garde als Ehrenwache dienten. Diese blieben in Friedrichsfelde und wurden aus der sächsischen Hofküche beköstigt. Bis zum 24. März 1814 hatten Berliner Bürgergardisten die Wache beim Könige gehabt.

In den »Denkwürdigkeiten aus dem kriegerischen und politischen Leben eines alten Offiziers« wird erzählt, der König Friedrich August habe von Friedrichsfelde aus fliehen wollen, sei aber eingeholt und zurückgebracht worden. Diese Mitteilung ist mindestens unwahrscheinlich. An Ort und Stelle wird nichts derart berichtet.[135]

Der König, während seines Friedrichsfelder Aufenthaltes, empfing viel Besuch und Deputationen aus seinem Lande, darunter den jungen Grafen Hohenthal, den Baron von Houwald (Vater des Dichters) und eine Deputation des Freiberger Bergbaues.

Unter den Personen von Rang, die ihn dauernd umgaben, haben wir in erster Reihe Generalmajor von Watzdorf zu nennen; doch war dieser oft monatelang auf Spezialmissionen, z.B. in London, abwesend. Am 13. Oktober 1814 trat Generalleutnant Sahrer von Sahr an Watzdorfs Stelle und blieb beim Könige, bis dieser Friedrichsfelde verließ. Es war die Sahrsche Division, die bei Großbeeren vorzugsweise tapfer gefochten hatte.

Der Aufwand, den der König in Friedrichsfelde machte, wurde teils aus den Geldern seiner Schatulle, teils durch eine Anleihe bei dem Berliner Bankierhause Benecke bestritten.

Am 9. Februar 1815 endlich war in Wien das Protokoll unterzeichnet worden, das über das Schicksal Sachsens entschied; – am 22. Februar verließ der sächsische Hof Friedrichsfelde und begab sich, auf Einladung des Kaisers von Österreich: »doch in seinen Landen Residenz nehmen zu wollen«, durch Schlesien über Wien nach Preßburg, wo der König den Palast des Primas bezog.

So viel hab ich aus Aufzeichnungen, die damals gemacht wurden, zu entnehmen vermocht. In Friedrichsfelde selbst wird noch folgendes erzählt:

Der König lebte ganz als König. Sehr viel Dienerschaft, altfränkisch gekleidet, blau und gelb, war um ihn her; die Kutscher immer in Kanonenstiefeln. Vormittags zwischen 11 und 12 ging er im Park spazieren; nachmittags wurd' auf die benachbarten Dörfer gefahren, namentlich auf solche, wo ein Park oder ein Fluß war, also nach Stralau, Lichtenberg, Biesdorf und vorzugsweise nach Schönhausen. Er war bei den Friedrichsfeldern sehr populär, weil er herablassend und wohlwollend war und, die Hauptsache nicht zu vergessen, ihnen viel zu verdienen gab. Der zahlreiche Besuch, der untergebracht werden mußte, schaffte den Bauern eine gute Einnahme; dazu die Berliner, die sonntags aus purer Neugier in Scharen herbeiströmten.

Ihren Hauptvorteil aber zogen die Bauern aus den vielen Holzfuhren, die sie leisteten, und aus der Stallung, die sie vermieteten. Tag um Tag wurd' ein Haufen Holz im Schloß verbrannt, und der königliche Marstall befand sich, gespannweise, auf den einzelnen Bauernhöfen.[136]

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 12, München 1959–1975, S. 132-137.
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