6. Kapitel
Dreilinden im Schnee

[349] Um die Weihnachtszeit übersiedelte der Prinz nach Berlin und bezog seine Wohnung im königlichen Schloß; im »Jagdhause« draußen aber fielen inzwischen die Flocken auf Dach und Balkon, überdeckten heute den Vorplatz und morgen den Runenstein, und ehe noch vom nächsten Nachbardorfe die Glocke zur Christmette herüberklang, lag Dreilinden im Schnee.

Und in Schnee lagen dann auch die Dreilinden und seinen Vorplatz umstehenden Tannen und mühten sich umsonst einen Einblick in die sonst so lichten Räume zu tun und auszuforschen, ob das Christkind, das sie still durch den Wald ziehen sahen, eine Krippe drinnen und einen Stern darüber gefunden habe. Doch wie weit sie die Wipfel auch neigen und bis über den Balkon hin vorbeugen mochten, sie sahen nichts als Nacht und Dunkel drinnen und hörten nichts als das Kind beider: die Stille.

Wohl, kein Leben drin und kein Licht! Und doch zog das Christkind ein an dieser Stelle, nicht in das prinzliche Jagdhaus, aber in das Forsthaus nebenan, in das Forsthaus mit den »drei Linden« vor der Tür.49 Da zog es ein, da schwebte der Engel über dem Weihnachtsbaum, und helle Kinderaugen, trunken von Glück und Freude, blickten auf zu den goldenen Nüssen in seinem dichten Gezweig.

Ja, hier im Forsthaus überwinterte das Leben und mit ihm zugleich die gastliche Flamme, die dieser Stätte Kennzeichen war, bis, wenn der Schnee geschmolzen und der Saft wieder trieb, auch das aus seinem Winterschlaf erwachte prinzliche Jagdhaus seine Türen und Fenster aufs neue weithin öffnete![349] Dann kamen der Lenz und der Prinz (»Oculi, da kommen sie«) und ehe noch die Wochen und Tage bis Judica-Palmarum in der Zeiten Schoße dahin gerollt waren, rollten auch schon wieder die Wagen vor und ein Lichtschein ergoß sich aufs neue von Tür und Flur her über den Vorplatz. Im Flur selbst aber gab's wieder ein Flimmern von Uniformen und Livreen, von Buntglasfenstern und Spiegelscheiben, und ehe eine halbe Stunde vergangen war, überstrahlte wieder der Kronleuchter mit seinen sechsundsechzig Lichtern eine frohe Genossenschaft und das Geweih-Trinkhorn samt dem Elfenbeinhumpen ging wieder um, und beide wurden geleert auf den Prinzen und den Feldherrn und nicht zum letzten auf den Gastfreund von Dreilinden!

49

Der Glückliche, der hier, tagaus tagein, ein von Anerkennung und Huld getragenes Weidmannsleben führen durfte, war der allen Dreilindner Gästen wohlbekannte Förster Rosemann, der, auch nach dem Tode des Prinzen, in dieser seiner bevorzugten Stellung blieb, bis er, am 19. August des Jahres (1888) einem Unfall erlag. Rosemann befand sich auf dem Wege nach der Wannseestation und hatte seinem erst zwölfjährigen Sohne eben die Zügel in die Hand gegeben, als der Jagdwagen, darin er fuhr, an einer abschüssigen Stelle plötzlich stürzte, bei welchem Sturz er so unglücklich fiel, daß er mit gebrochenem Rückgrat tot liegen blieb. Rosemann war erst in der Mitte der vierziger Jahre und, neben einer gewinnenden Erscheinung, von den verbindlichsten Umgangsformen.

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 13, München 1959–1975, S. 349-350.
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