ZWEI ABENDE

[24] Beschwerlicher nebel verdeckt den himmel von dem das licht kommen sollte und die nächste nähe trotz[24] des rauchigen scheines der laternen so dass die dürren herabhängenden äste einem ins gesicht peitschen wenn man über den grauweissen morschen teppich der strassen geht. Ein scharfer wind schneidet dringt aber nicht bis an die tiefen wurzeln der begierden. Entflieht man dieser verzehrenden und doch nicht betäubenden einsamkeit in einen saal von licht und lust so schweben dieselben unangenehmen bilder vor: etwa das einer katze die auf dem sims eines geschlossenen fensters sitzend in weniger als griffweite draussen einen vogel gewahrt aber nicht erlangen kann und deshalb leise fletscht und wimmert.


Ein hellerer tag ist gekommen. Die scheiben und die giebel erschimmern des nachmittags wie von einem neuen unbekannten metall. In den vorgärten und auf den rasenplätzen liegen die gezackten schneereste wie zobelfelle. Draussen sowol als im zimmer fallen auf einen ganz unerwartete lichtflecke. Tritt man nun durch das säulentor langsam in den abend ein so fühlt man wie der gesamte glanz glauben und stolz wieder-erweckt und auf den beschönigenden kreis unsrer gedanken weist als auf unsren natürlichsten freudenhimmel.

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Stefan George: Tage und Taten. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 17, Berlin 1933, S. 24-25.
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