FRIEDRICH WASMANN

[63] Vor einigen monaten ist einer unsrer liebenswürdigsten maler im geist der ersten hälfte des jahrhunderts einer unverdienten vergessenheit entrissen worden .. es war dazu nötig dass drunten im südlichen Tirol der nachlass des aus Niederdeutschland gebürtigen künstlers von einem heutigen künstler der ein Norweger ist entdeckt und gesammelt und in einer mit fleiss und opfern hergestellten schönen ausgabe dem deutschen volk zugänglich gemacht wurde.

Das vorliegende buch das mit einer selbst-lebens-beschreibung Wasmanns eine reihe von zeichnungen und gemälden aus den jahren 1828–35 in guten steindruck-nachbildungen enthält und das allein die bekanntschaft mit dem in keiner öffentlichen sammlung vertretenen meister vermitteln kann ist wol von ausgezeichneten kunst-kennern wie Hermann Schlittgen dringend empfohlen worden hat aber in weiteren kreisen die würdigung noch nicht gefunden die es verdient.

Mögen wir auch zugeben dass durch eine gewissenhafte und feine auswahl der wert der angebotenen schöpfungen ungemein erhöht wird und wir minderwertiges gar nicht zu gesicht bekommen so ändert das wenig an unsrer bewunderung für den mann der fern vom markte der ausstellungen fern vom drang der[64] bestellungen schweigend und unbekannt zur zeit des Nazarenertums d.h. der allgemeinen formerstarrung mit der selbständigkeit der auffassung die reinheit der linien mit der vollendeten festigkeit und sicherheit eine keusche wahrhaft rührende anmut verband.

Schon in einer sehr frühen bleizeichnung (bild der mutter des künstlers b. 4) zieht uns eine den zwang der schule durchbrechende eigenart an: in dem männlichen bildnis b. 8 sehen wir die ganze verträumte jugend von damals mit dennoch einer festen und scharfen schönheit .. fast wie ein Rafael wirken die höchst einfachen striche die einen jüngling bilden · wie uns scheint einer von denen die voll von kühnen unschuldigen träumen und von himmlischen erwartungen ihre strasse nach Italien zogen.

Von bezaubernder innigkeit sind die mädchenköpfe s. 28 s. 41 s. 65 s. 132 besonders das zweitgenannte auf getöntem papier .. bei aller kindlichen und jungfräulichen reinheit liegt in diesem antlitz das bedeutungsvoll die augen aufschlägt ein so grosses trauriges verzichten dass wir ganz die jahreszahl vergessen und meinen die neuesten Engländer und Franzosen vor uns zu haben und zwar die besten.

Manche dieser bildnisse sind uns eine enthüllung: so deutlich haben wir noch nie gestalten jenes abschnitts gesehen den man die Romantik nennt · ohne verschwommenheit[65] und verweichlichung die helden Jean Pauls: wir bekommen ein neues bild jener still-glühenden und tiefblauen zeit.

Eine andre seite von Wasmanns kunst zeigen uns die öl-bilder aus einem späteren abschnitt seines lebens mit noch gesteigertem sinn für das wirkliche .. wol müssen wir die farben dazu ersinnen (sie werden eher verschwiegen als leuchtend sein) aber es genügt die haltung jener Alten b. 148 zu betrachten die bei meisterhafter behandlung der gewandung in ihrer behäbigen güte soviel menschliche ewige schönheit mitbekommen hat · oder den etwas geduckt dasitzenden keineswegs liebe-erweckenden menschen s. 153 den ich mir vorstelle mit seinem ledergelben südländergesicht das sich vom etwa blauen sammt des sessels abhebt: es ist darin etwas vom bestreben der Alten Meister die die abschreckende hässlichkeit geistlicher und weltlicher würdenträger so unvergänglich verklärt haben.

Dem maler dem mann von handwerk werden zulezt einige skizzen und entwürfe eine besondere aufmerksamkeit abringen · einige ganz geringfügige dinge mit einer einfachheit und fertigkeit hingeworfen wie es nur die Japaner vermögen: dort ein lamm · dort ein hahn · dort eine ziege.

Die lebensbeschreibung die keine erläuterung zu den abbildungen gibt läuft selbständig als text mit. Sie ist[66] im schlichten ehrlichen manchmal schattierungslosen ton damaliger zeit abgefasst .. dort finden wir aber auch – abgesehen von der teilnahme die das leben dieses merkwürdigen mannes erwecken muss – so feine beobachtungen und einflüsternde wendungen wie sie nur dem grossen schriftsteller gelingen.

So lesen wir in den kinder-erinnerungen: Bald zogen kosakenpulks · lieder in melancholischen molltönen singend in langen zügen über den deich · bald französische reiterscharen · die langsam vorüberreitend und niedergebeugt auf uns kinder die wir sie neugierig anblickten traurig und matt herabsahen · bei der betrachtung einer Medusenmaske stehen die worte: was ich damals nicht verstand ist mir jezt klar und erscheint mir wie ein bild der von Gott getrennten unerlösten natur die wie der blick der schlange das auge des menschen bezaubert die seele erstarren macht und in tödlichen schlaf versenkt · in der Italienreise findet sich der abschluss: Die menschen schienen mir einen wehmütigen zug im gesicht zu haben den ich bis dahin nie gekannt hatte als wären sie auf einer wallfahrt durchs leben begriffen und bewegten selbst mitten im geräusch des tages und bei der arbeit die lippen zu stillem gebet.


Friedrich Wasmann · Ein Künstlerleben · München 1896

Quelle:
Stefan George: Tage und Taten. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 17, Berlin 1933, S. 63-67.
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