Das I Hauptstück.
Von den verschiedenen Gattungen und Arten deutscher Wörter.

1 §.


Die Wörter einer jeden Sprache sind die Zeichen der Gedanken; und vertreten daher im Sprechen und Schreiben ihre Stelle. So vielerley Gedanken wir also haben können, so vielerley Wörter muß auch jede Sprache haben; damit man durch sie, alles, was man denket, ausdrücken und zu verstehen geben könne. Sollte es an einer Gattung derselben fehlen: so würde die Sprache nicht zulänglich seyn, im täglichen Umgange, andern Menschen, seine Meynung hinreichend zu erklären, geschweige dann Wissenschaften vorzutragen.1

2 §. Nun haben aber die Weltweisen angemerket: daß es hauptsählich dreyerley Gattungen von Gedanken giebt. Denn wir denken erstlich an Dinge, die für sich selbst bestehen, oder doch als für sich selbst bestehend angesehen werden, nebst ihren Eigenschaften und Zufälligkeiten; z.E. an Himmel und Erde, Gestirne, Thiere, Pflanzen, Steine,[193] Metalle, u.d.gl. und alles, was an ihnen befindlich ist, als Bewegung und Ruhe, Leben und Tod, Kälte und Wärme, Größe, Schwere, u.s.w. Ein großer Theil davon fällt in die Sinne, andere aber werden auch nur durch den Verstand begriffen; als z.E. ein Geist, die Tugend, das Laster, die Wissenschaft, die Kunst, u.d.gl. Alle Wörter nun, die solche erste Gattung von Gedanken, der Dinge und ihrer abgesonderten Eigenschaften ausdrücken, die nennen wir Nennwörter. (NOMINA)2

3 §. Die zweyte Gattung der Gedanken begreift alle Veränderungen, die mit den Dingen, durch ihre Wirksamkeit und Thätigkeit, oder auch durch das Leiden vorgehen. Denn da in der Welt nichts beständig so bleibt, wie es ist: so bemerket man, daß viele Dinge etwas wirken, andere aber etwas leiden müssen; und dadurch ein ander Ansehen bekommen. Alle diese Veränderungen aber sind entweder gegenwärtig, oder bereits vergangen, oder noch zukünftig; und beziehen sich also ganz deutlich auf eine gewisse Zeit; z.E. ich schreibe, ich habe geschrieben, ich werde schreiben, u.d.gl. Dieser Umstand machet, daß man alle Wörter, die solche Gedanken des Thuns und Leidens ausdrücken, als die zweyte Gattung derselben, nümlich der Zeitwörter3, rechnen kann. Sie heißen sonst VERBA.[194]

4 §. Die dritte Gattung der Gedanken beschäfftiget sich nur mit den verschiedenen Verhältnissen, Verbindungen und Umständen; kurz, mit den mannichfaltigen Bestimmungen, darinn sich sowohl die Dinge, als ihr Thun und Leiden oft befinden. Diese nun mit Worten auszudrücken, und dadurch den Zusammenhang der Gedanken vollständiger zu machen, hat man allerley kleine Wörterchen nöthig gehabt, die in allen Sprachen auf eine ähnliche Art vorhanden sind. Z.E. der Sommer, ist ein Nennwort: vergehen, ein Zeitwort; und beyde vereiniget, sagen; der Sommer vergeht. Will ich aber die kurze Zeit bestimmen, darinn es geschieht, so setze ich noch das Bestimmungswort bald, oder schnell hinzu. Diese ganze dritte Gattung der Wörter also, nenne man Bestimmungswörter (lat. PARTICULAS)4

5 §. In diese drey Gattungen nun, kann man alle Wörter der deutschen Sprache bringen, die man sonst in den meisten Grammatiken in acht, oder neun Arten zu theilen pflegt. Es ist aber Anfängern, zumal Unstudirten und Kindern, leichter drey, als neun Abtheilungen auswendig zu behalten: zumal, wenn sie von diesen gar keinen Grund der Eintheilung sehen können; wie insgemein zu geschehen pflegt5. Wir wollen es aber dabey nicht bewenden lassen, sondern jede Gattung wiederum in ihre Arten eintheilen.[195]

6 §. Wenn das Nennwort eines Dinges, für sich allein gesetzet, einen völligen Gedanken machet: oder eine Sache bedeutet, die für sich besteht, oder doch in Gedanken, als für sich bestehend angesehen wird: so wollen wir es ein Hauptwort (NOMEN SUBSTANTIVUM) nennen; z.E. Gott, Mensch, Thier, Tugend, Wissenschaft, u.d.gl. Wenn aber ein Nennwort für sich keinen völligen Gedanken machet, wo es nicht zu einem solchen Hauptworte gesetzet wird: so nennet man es nur ein Beywort (NOMEN ADJECTIVUM); z.E. großer, weiser, wilder, u.d.gl. Diese bedeuten etwas sehr unvollständiges, wo ich nicht zu jedem ein Hauptwort setze; als: ein großer Gott, ein weiser Mensch, ein wildes Thier. Beyde zusammen aber heißen Nennwörter (NOMINA)6

7 §. Hiebey ist zu merken, daß oftmals auch die Beywörter zu Hauptwörtern werden können, wenn man das Hauptwort darunter versteht, und also wegläßt: z.E. ein Weiser ist besser, als ein Starker. Hier versteht man beydemal das Hauptwort Mann, oder Mensch darunter; welche man, der Kürze halber, wegläßt7. Eben so können zuweilen die Zeitwörter zu Nenn- und Hauptwörtern werden, wenn man ihnen in Gedanken ein Seyn und Wesen beyleget: z.E. thun und lassen, sind Zeitwörter: wenn ich aber sage, das [196] Thun und Lassen der Menschen; so sind beyde zu Hauptwörtern geworden; die man daher auch billig, mit großen Anfangsbuchstaben zu schreiben, Ursache hat.

8 §. Die Hauptwörter werden entweder selbst gesetzet; oder man will sich diese Weitläuftigkeit ersparen, und gewisse kürzere oder bequemere Wörterchen ihre Stelle vertreten lassen. Z.E. wollte Dido dem Äneas sagen, daß sie ihn liebe: so müßte sie ordentlich sprechen: Dido liebet den Äneas. Wenn nun diese und dergleichen Reden oft vorkämen, so würde die Wiederholung der Namen einen Ekel erwecken. Man hat also Würterchen erfunden, die man für die Hauptwörter, das ist, an ihrer Stelle, brauchet, und die viel kürzer sind. So darf nun Dido zum Äneas nur sagen: Ich liebe dich; und diese Art von Wörtern nennet man Fürwörter8.

9 §. Da Menschen und Thiere von zweyerley Geschlechtern; außer diesen aber, viele andere Dinge, weder Mann noch Weib sind, sondern ein unbestimmtes Geschlecht ausmachen: so hat man auch in den Wörtern der Sprachen dreyerley Geschlechter, nämlich das männliche, weibliche und ungewisse9[197] eingeführet. Einige Sprachen nun haben, diese Geschlechter anzudeuten, besondere kleine Wörterchen erdacht, die sie vor die Hauptwörter setzen. Unter diesen aber, ist nebst der griechischen, auch die deutsche; als wenn man z.E. saget: ein Berg, eine Wiese, ein Feld; oder der Mann, die Frau, das Kind. Dieses ein, eine, eins, und der, die, das, nennet man Geschlechtswörter (lat. ARTICULOS).

10 §. Nun könnte man diese Geschlechtswörter zwar mit zu den Fürwörtern (PRONOMINIBUS) rechnen; weil sie ihnen sehr ähnlich sind. Allein da man die Fürwörter auch ohne die Hauptwörter, und anstatt derselben; die Geschlechtswörter aber, neben und zugleich mit ihnen brauchet: so sind sie genugsam unterschieden. Hierzu kömmt: daß man jene in den Sprachlehren erst nach den Hauptwörtern abhandelt; dieses Geschlechtswort aber schon bey den Hauptwörtern nöthig hat. Also muß man von ihm in einem besondern Hauptstücke, und zwar vor jenen, handeln10.[198]

11 §. Wir kommen auf die zweyte Gattung, nämlich der Zeitwörter, die das Thun und Leiden anzeigen: und diese hat auch zweyerley Arten unter sich. Die eine nämlich bedeutet schlechtweg das Thun und Lassen, welches in einer gewissen bestimmten, oder unbestimmten Zeit geschieht; muß aber vor oder neben sich allemal ein Haupt- oder Fürwort haben, wenn es einen vollen Gedanken geben soll: z.E. ich lese, du schriebst; der Vogel ist geflogen; der Fisch wird schwimmen, u.d.gl. Diese Art heißt nun insbesondere das Zeitwort11, und hat mit den Nennwörtern gar nichts ähnliches.

12 §. Allein es giebt noch eine andere Art von Wörtern, die zwar das Thun und Leiden in einer verschiedenen Zeit anzeigen; aber doch zugleich einen Hauptbegriff bey sich[199] führen, der sich schon allein gedenken läßt, und also gewissermaßen einem Nennworte ähnlich sehen: als ein Schreibender, der Liebende, etwas Geschriebenes, die Geliebte, u.d.gl. mehr. Kommen also diese Wörter durch das Geschlechtswort, das sie annehmen, und durch andere Stücke, die bald folgen sollen, mit den Nennwörtern überein: so halten sie dergestalt zwischen den Zeit- und Nennwörtern das Mittel: und weil sie von mittlerer Natur sind; so nennet man sie Mittelwörter (PARTICIPIA).

13 §. Die Zeitwörter bedeuten oft ein sehr unbestimmtes Thun oder Leiden; als wenn man saget: er studiret, er geht, er arbeitete, er kam; so weis man noch nicht, ob er fleißig studirt; stark, oder langsam geht; viel oder wenig arbeitete; heute oder gestern gekommen ist. Alle diese kleinen Wörter bestimmen also die Bedeutungen der Zeitwürter, und machen die erste Art der dritten Gattung aus. Weil diese nun den Zeitwörtern beygesetzet werden, und insgemein dicht neben ihnen stehen: so nennen wir sie Nebenwörter12 (ADVERBIA).

14 §. Eine andere Art von kleinen Bestimmungswörtern, wird vor die Nenn- und Fürwörter (NOMINA UND PRONOMINA) gesetzet: und diese dienen allerley kleine Nebenumstände derselben zu bestimmen. Z.E. Alexander kömmt zum Diogenes; dieser Weltweise wohnet in einem Fasse; der Diener grüßet von seinem Herrn; der Soldat flieht vor dem Feinde; er schreibt mit Verstande, u.d.gl. Weil nun alle diese Wörter vor den Nennwörtern und Fürwörtern, ja auch wohl vor den Beywörtern zu stehen kommen: so nennet man sie zum Unterschiede, Vorwörter (PRÆPOSITIONES13);[200]

15 §. Es füget sich oft, daß man etliche Gedanken, oder Begriffe einer Art an einander fügen, und verknüpfen will. Wenn man nun sagen will: Gott habe nicht nur den Himmel, sondern auch die Erde, ja alles, was darinnen ist, erschaffen: so muß man solche Bestimmungswörter haben, die solche Verbindung andeuten. Z.E. in diesem Exempel, waren nicht nur, sondern auch, ja; und so weiter, und, aber, nämlich, wie, so, denn, weil, daher, sofern, außer, oder, entweder, u.d.gl. Weil nun diese alle zur Verbindung der andern Wörter dienen, so werden sie Bindewörter (CONJUNCTIONES)14 genennet.

16 §. Endlich ist noch der Gemüthszustand eines Redenden bisweilen zu bestimmen nöthig. Denn da der Mensch oft in Leidenschaften oder Gemüthsbewegungen steht; und selbige gern andern zu verstehen geben will: so hat man auch solche kleine Wörter er denken müssen, die solches andeuten konnten. Z.E. O! Ach! Weh! Weg! Pfuy! Sieh! Lustig! u.d.gl. Weil nun diese Art der Bestimmungswörter keine besondere Stelle hat; sondern nur zwischen die andern gesetzet wird, wo sie sich hinschicket: so haben sie den Namen der Zwischenwörter (INTERJECTIONES) bekommen15.[201]

17 §. Will man sich nun diese Abtheilung aller Wörter einer Sprache, in ihre Gattungen und Arten, nach dem Grunde ihrer Bedeutungen, deutlich vorstellen; so setze man zur Erleichterung, folgendes Täfelchen an:


Die Wörter der deutschen Sprache sind entweder


I. Benennungen oder Namen der Dinge; und zwar


1) Geschlechtsüwörter (ARTICULI).

2) Nennwörter (NOMINA); von welchen einige

a) Hauptwörter (SUBSTANTIVA), andere aber

b) Beywörter (ADJECTTVA) sind.

3) Fürwörter (PRONOMINA).

Oder es sind


II. Anzeigungen des Thuns und Leidens; und diese sind entweder


1) Zeitwörter (VERBA); die

a) theils thätige (ACTIVA),

b) theils leidende (PASSIVA),

c) theils mittlere (NEUTRA) sind; oder

2) Mittelwörter (PARTICIPIA).

Oder es sind


III. Bestimmungswörter; und diese sind wiederum


1) Nebenwörter (ADVERBIA);

2) Vorwörter (PRÆPOSITIONES);

3) Bindewörter (CONJUNCTIONES);

4) Zwischenwörter (INTERJECTIONES).[202]


18 §. Will aber ein Lehrmeister seine Schüler mit diesem philosophischen Unterschiede der Wörter nicht beschweren; so kann er ihnen ebenfalls nur sagen: es gebe im Deutschen neun Arten von Wörtern oder Redetheilchen, nämlich: 1) Geschlechtswörter, 2) Nennwörter, 3) Fürwörter, 4) Zeitwörter, 5) Mittelwörter, 6) Nebenwörter, 7) Vorwörter, 8) Bindewörter, und 9) Zwischenwörter; oder lateinisch: ARTICULUS, NOMEN, PRONOMEN, VERBUM, PARTICIPIUM, ADVERBIUM, PRÆPOSITIO, CONJUNCTIO, INTERJECTIO, und dieselben auswendig lernen lassen16 Von allen diesen Arten der Wörter müssen wir nun nach und nach insbesondere handeln.

Fußnoten

1 Dieses weiter auszuführen, würde in eine allgemeine Sprachkunst gehören. Man kann indessen des Freyherrn von Wolf, vernünftige Gedanken von Gott, der Welt etc. imgleichen Herrn Canzens GRAMMAT. UNTVERS. nachschlagen. Gleichwohl ist die deutsche Sprache in allen diesen nöthigen Arten der Wörter so vollständig, als irgend eine in der Welt; und hat noch dazu die Art, daß ihre Reichthümer sich täglich vermehren lassen.


2 Einige Sprachlehrer haben sie lieber Namen nennen, und hernach die SUBSTANTIVA und ADJECTIVA, durch selbständige und beyständige Namen ausdrücken wollen. Allein, da wir die Namen allemal von eigenen Namen der Örter und Menschen verstehen: so ist Nennwort bequemer, alle Benennungen der Dinge zu bezeichnen. Die SUBSTANTIVA kann man Hauptwörter, die ADJECTIVA aber Beywörter nennen, wie längst eingeführet ist.


3 Diese Benennung ist unstreitig besser und bestimmter, als die lateinische, VERBA: denn auch die NOMINA und alle übrige Arten sind VERBA, Wörter, Daher haben einige deutsche Sprachlehrer ohne Ursache, diese lateinische Art nachahmen wollen. Ein Zeitwort drücket das aus, was ACTIVA und PASSIVA gemein haben, und was sie von allen andern Wörtern unterscheidet.


4 Das Wort PARTICULA ist abermal nicht so bequem, die Sache auszudrücken, als unsere deutsche Benennung. Denn was hilft mirs, daß ich weis, es seyn Theilchen der Rede; da jedes Nennwort, und Zeitwort eben dergleichen ist? Ja bisweilen ist eins von diesen ein weit kleineres Theilchen, als die sogenannten PARTICULÆ; wenn sie nämlich ein- oder zweysyllbig, diese hergegen vielsyllbig sind, wie es dergleichen viele giebt: z.E. dergestalt, dannenhero.


5 Wir wissen, daß es auch wohl gelehrte Leute, ja große griechische und lateinische Sprachenhelden giebt, die von dem so berufenen NOMEN, PRONOMEN etc. keinen vernünftigen Unterschied einsehen, oder angeben können. Da sie nun gleichwohl das Latein nach einer Grammatik gelernet haben: was würde nicht erst geschehen, wenn sie, wie Hr. PLUCHE in seiner MECANIQUE DES LANGUES begehret, alles Latein bloß aus der Übung im Reden lernen sollten?


6 Nennwort (NOMEN) ist also die Gattung, die sich in zwo Arten, der Hauptwörter, und Beywörter theilet. Das lateinische SUBSTANTIVUM hat wieder die Unbequemlichkeit, daß es 1) ein seht metaphysisches Wort ist, das von jungen Leuten, welche Sprachen lernen sollen, nicht verstanden wird; 2) daß hundert NOMINA SUBSTANTTVA keine Substanzen andeuten; sondern oft ganz abstracte, oder abgesonderte Begriffe benennen, z.E. Wissenschaft, Tugend, Zeit, Ort, u.s.w.


7 Hier ist indessen zu bemerken, daß dergleichen Wörter doch die ganze Art ihrer vorigen Bildung behalten: z.E. wie Weiser, als ein Beywort aussah, so bleibt es auch als ein Hauptwort, ein Weiser. Dieses ist wider die zu merken, die da meynen, es müsse sein r hinten verlieren, und ein Weise heißen. Oder wie andere von ihrer Schöne reden, wenn sie eine Geliebte verstehen; die doch hinten in der 2, 3ten und 6ten Endung ein n haben muß, wie bey den Beywörtern gewöhnlich ist.


8 Ein gewisser alter Sprachlehrer will diese Art die Anstattwörter nennen; welches zwar die Natur derselben ausdrücket, aber lange nicht so gut klingt, als Fürwörter. Andere, die das Für und vor nicht unterscheiden können, haben sie Vorwörter, auch wohl Vornamen, recht nach dem Lateine nennen wollen. Allein, wer weis nicht, daß Vornamen und Taufnamen einerley sind, indem sie den Zunamen entgegen gesetzet werden?


9 Einige wollen dieß Geschlecht das dingliche benennen. Allein, da nicht alle Dinge außer den Thieren GENERIS NEUTRIUS, sondern unzählige auch von männlichem, oder weiblichem Geschlechte sind: so hat es mir bequemer geschienen, es das ungewisse Geschlecht zu nennen. Denn wenn ich sage das Kind, so ist es noch ungewiß, ob es ein Knab, odet ein Mägdchen ist. So ist es auch mit Thier, Pferd, Rind, Schwein, Füllen, Kalb, Lamm, Ferkel u.a.m. beschaffen. Doch giebt es freylich, durch die Unbeständigkeit des Pöbels, der zuerst die Sprachen gemachet, gewisse Abfälle. Z.E. das Huhn, das Reh, das Weib; imgleichen bey Knäblein, Söhnlein, Töchterlein, Fräulein. Gleichwohl könnte man die ersten beyden noch retten. Denn wer von Hühnern redet, schließt oft auch den Hahn mit ein; und wer im Walde Rehe heget, der versteht auch die Böcke darunter. Kurz, keine Sprache ist ganz regelmäßig. Ich zeige den philosophischen Grund der drey Wortgeschlechter. Wer kann dafür, daß man ihm nicht überall gefolget ist?


10 Wir folgen hierinn den griechischen Sprachlehrern, die auch damit den Anfang machen. Denn unsere Sprache hat in den Artikeln, oder Geschlechtswörtern eine große Ähnlichkeit mit der griechischen. Auch die alte gothische hatte sie schon, wie aus dem Ulfila erhellet. Die lateinische hergegen hat sie nicht: ihre heutigen Töchter aber, die wälsche, spanische und französische, haben sie von ihren deutschen Überwindern, den Gothen, Longobarden, Vandaliern, Burgundern, Franken, und Normannen annehmen müssen. Das saget Grotius in seinem Sinngedichte auf die deutsche Sprache: FARR. L. III, p. 215.


O PATRIA SALVE LINGUA!

CUJUS RETENTA PARTE, TOT TRIUMPHATÆ

ADHUC FATENTUR TEUTONUM ARMA GENTES ETC.


Eben dieß gesteht Rollin in s. MANIERE D'ENSEIGNER etc. T. I, p. 324, von der französischen Sprache. Denn da er es von den VERBIS, Zeitwörtern, bekennet, die sich ohne die Hülfswörter nicht behelfen können; so sind diese mit darunter begriffen. LA PLUPART DE NOS MOTS, VIENNENT DE LA LANGUE LATINE; MAIS LA CONSTRUCTION, & LES VERBES AUXILIAIRES, QUI SONT D'UN TRES GRAND USAGE, NOUS VIENNENT DE LA LANGUE GERMANIQUE. Er hätte immer ausdrücklich auch der Artikel oder Geschlechtswörter erwähnen können.


11 Hr. Spessotti, der zu Rom eine deutsche Sprachkunst herausgegeben, nennet das VERBUM schlechtweg ein Wort. Allein ob er gleich dadurch Ausländern die Kunstwörter erleichtern will; so unterscheidet er dadurch das VERBUM nicht von allen andern Wörtern.


12 Ein großer Weltweiser, Bar. Wolf, wollte sie Beywörter der Hauptwörter nennen, dadurch er die Zeitwörter verstund; die ADJECTIVA oder Beywörter der Namen heißen. Allein unsere Benennung ist kürzer, und folglich bequemer.


13 Sie können bey uns desto geschickter so heißen, da sie fast allemal vor den benannten Wörtern, niemals aber hinten stehen, wie bey den Griechen und Lateinern bisweilen zu geschehen pflegt. Z.E. MERITIS pro TALIBUS ANNOS. Virg. NOBISCUM u.d.m.


14 Einige Sprachlehrer nennen sie Fügewörter, vieleicht weil die Tischler ihre Hölzer aneinander fügen. Allein, da das bloße Fügen, noch nichts vereiniget, wenn kein Leim darzwischen kömmt, der es bindet: so dünket mich das Bindewort der Sache angemessener zu seyn, zumal da wir die SYNTAXIN, in weit allgemeineren Verstande die Wortfügung nennen müssen.


15 Es wäre zu wünschen, daß man auch dieser Wörter Natur etwas näher, als die Lateiner, bestimmen könnte. Allein, da sich keine bequemere Benennung finden will: so muß man es bey der lateinischen bewenden lassen, ob sie gleich gar zu allgemein ist, und allen vorhergehenden auch zukömmt; ja sich auf diese nicht allemal schicket. Z.E. wenn man rufet, Ach! O weh!


16 Dieses ist von jungen Kindern zu verstehen. Wenn sie aber größer werden, kann man ihnen den obigen Unterschied erklären, damit sie auch den Grund der Eintheilung einsehen. Denn dazu gehöret schon ein etwas reiferer Verstand.[203]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 191-204.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grundlegung der deutschen Sprachkunst
Grundlegung der deutschen Sprachkunst
Grundlegung Einer Deutschen Sprachkunst: Nach Den Mustern Der Besten Schriftsteller Des Vorigen Und Jetzigen Jahrhunderts Abgefasset, Und Bey Dieser Dritten Aufl. Merklich Vermehret (German Edition)

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon