Zweiter Auftritt


[89] Fräulein Amalie. Fräulein Karoline. Dr. Hippokras.


DR. HIPPOKRAS. Untertäniger Diener, gnädige Fräuleins, ich komme zu vernehmen, wie die Frau Oberstin sich befindet; allein ich höre, daß sie noch ein wenig schlummert.

FRÄULEIN AMALIE. Ach! wenn alle Ihre Kranken sich so gut befinden als meine Muhme, so werden die Totengräber mit dem Herrn Doktor schlecht zufrieden sein.

DR. HIPPOKRAS. Nun, an deren ihren Beifalle ist mir eben nichts gelegen. Ich will lieber, daß mich die Patienten loben.

FRÄULEIN AMALIE. Setzen Sie sich, Herr Doktor.


Sie setzen sich alle.


FRÄULEIN KAROLINE. Ich habe diese Nacht bei ihr wachen müssen. Sie hat geschlafen wie ein Tagelöhner.

FRÄULEIN AMALIE. Und das wirst du ihr auch wohl so gerade in die Augen sagen, wenn sie kommen wird?

FRÄULEIN KAROLINE. Warum nicht? Freilich werde ich es tun! denn es ist wahr.

FRÄULEIN AMALIE. Sie wird dir's aber gewiß übelnehmen?

FRÄULEIN KAROLINE. Warum? Schlafen ist ja keine Sünde!

FRÄULEIN AMALIE. Und sie wird gewiß sagen, sie habe nicht geschlafen.

FRÄULEIN KAROLINE. So werde ich die Ehre haben, ihr zu sagen, daß sie sich irrt; und daß das niemand besser wissen kann, als wer bei einem Kranken gewachet hat.

DR. HIPPOKRAS. Es ist aber auch nicht allemal gut, mein gnädiges Fräulein, wenn man den Patienten widerspricht.

FRÄULEIN KAROLINE. Ja, das hat seinen Grund, wenn sie in der Phantasei des hitzigen Fiebers liegen; wenn sie sich manchmal einbilden, sie hätten Hunde, Katzen oder Eulen um sich: da wäre es töricht, einem Menschen zu widersprechen, der von seinen Sinnen nichts weiß. Aber die Frau Muhme ist in diesem Stande nicht.

DR. HIPPOKRAS. Man findet aber oft, daß die Einbildung zur Genesung ebensoviel beiträgt als alles andere.

FRÄULEIN KAROLINE. Was sollte die Einbildung, daß sie nicht geschlafen hat, zu ihrer Genesung tun?[89]

FRÄULEIN AMALIE. Zum mindesten kann sie heute sonst ihren guten Nutzen haben. Zur Karoline. Du weißt wohl, wovon wir geredet haben.

FRÄULEIN KAROLINE lacht. O ja! Ich werde meiner Muhme sagen, daß sie recht gut geschlafen hat. Daß ihre Natur so frisch ist, als ich sie mir selbst wünschte. Und daß sie uns noch alle überleben wird.

FRÄULEIN AMALIE drohend. Je, du Unglücksvogel! was sagst du?

FRÄULEIN KAROLINE lachend. Ja, und dich am ersten.

FRÄULEIN AMALIE erschrickt. Mich?

FRÄULEIN KAROLINE. Ja, dich! dich! Hernach erbe ich deine Gerade und alles! Oh! was werde ich da nicht für Freier kriegen! Klopft in die Hände.

FRÄULEIN AMALIE schlägt sie mit dem Schnupftuche auf die Achsel. Du gottloser Schalk?

DR. HIPPOKRAS. Nein, wenn die Frau Oberstin diesmal darvon kömmt, so fürchte ich hier im Hause sobald keine Leiche, als das gnädige Fräulein droheten.

FRÄULEIN KAROLINE. Ach! die Frau Muhme denkt so wenig an den Tod als wir alle. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, ich heiratete noch einmal und genösse mein Vermögen recht. Sie lacht.

FRÄULEIN AMALIE. Nun, das ist wahr! Heute brauche ich eine rechte englische Geduld mit dir, Karoline!

FRÄULEIN KAROLINE. Ei, das steht einer ältern Schwester gut an! Und was tut die Hoffnung zu einem Testamente nicht?

DR. HIPPOKRAS. Vielleicht verschieben Ihre Gnaden also noch das Testament, weil sie so gut geschlafen haben.

FRÄULEIN AMALIE ängstlich. Das ist es eben, Herr Doktor, wovor mir grauet! Sie müssen es durchaus so weit nicht kommen lassen, daß sie sich heute für gesünder hält als gestern.

DR. HIPPOKRAS. Ei! man kann auch solchen wenigen guten Augenblicken nicht trauen; solche Intervalla sind noch keine völlige Besserung.

FRÄULEIN AMALIE. So recht, mein lieber Herr Doktor! machen Sie's nur immer ein bißchen gefährlicher, als es wirklich ist.

FRÄULEIN KAROLINE. Nun, nun! tut ihr euer Bestes, ihr einzubilden, daß sie krank sei: ich will mich bestreben, ihr zu beweisen, daß sie so gut als gesund sei.

FRÄULEIN AMALIE schmeichelnd. Ach, allerliebstes Schwesterchen! du wirst ja das nicht tun.[90]

FRÄULEIN KAROLINE. Allerliebst oder nicht: der Oberstin fehlt nichts.

FRÄULEIN AMALIE schmeichelnd. Liebstes Karolinchen! bedenke, was du sagst!

FRÄULEIN KAROLINE. Sie hat aber gewiß gut geschlafen.

FRÄULEIN AMALIE hält ihr den Mund zu. Nein doch! nein!

FRÄULEIN KAROLINE. Und könnte nicht besser tun, als daß sie heute spazierenführe und das lumpne Testament sein ließe.

FRÄULEIN AMALIE schlägt die Hände zusammen. Ach, liebster Herr Doktor! Spazierenfahren! da wäre ja die arme Frau des Todes!

DR. HIPPOKRAS bedenklich. Nein, das wüßte ich nun wohl nicht.

FRÄULEIN KAROLINE. Es ist ja das schönste Wetter von der Welt.

FRÄULEIN AMALIE. Ja, zum Testamentmachen! zum Testamentmachen! Nicht wahr, Herr Doktor?

DR. HIPPOKRAS macht einen Reverenz. Gehorsamer Diener.

FRÄULEIN AMALIE zu Karolinen. Da siehst du, daß ich recht habe. Zum Doktor. Ich glaube, die Frau wird nimmermehr gesund, wo sie heute nicht das Testament macht.

DR. HIPPOKRAS macht einen Reverenz. Gehorsamer Diener.

FRÄULEIN AMALIE. Ich sage das nicht aus Eigennutz: ungeachtet ich weiß, daß ich das Ansehnlichste davontragen werde. Ich bin gar nicht eigennützig!

FRÄULEIN KAROLINE lächelnd. Oh! nichts minder!

FRÄULEIN AMALIE zum Doktor. Aber weil sie doch nun einmal mit den Gedanken umgeht, ein Testament zu machen, so schwebt ihr das immer im Sinne.

DR. HIPPOKRAS. Unstreitig.

FRÄULEIN AMALIE zum Doktor. Und daß es ihr immer im Sinne schwebt, das beschäftigt sie immer mit den Gedanken.

DR. HIPPOKRAS. Allerdings.

FRÄULEIN AMALIE zum Doktor. Und diese Gedanken machen sie unruhig.

DR. HIPPOKRAS. Ganz recht.

FRÄULEIN AMALIE. Und diese Unruhe läßt sie nicht schlafen. Nicht wahr, Herr Doktor?

DR. HIPPOKRAS. Das ist sehr schön und analogisch geschlossen.

FRÄULEIN AMALIE. Also ist kein besser Mittel, als daß sie heute nach Tische das Testament macht.

FRÄULEIN KAROLINE lächelnd. Recht so![91]

FRÄULEIN AMALIE. Wer sie daran zu hindern suchte, der wäre ihr ärgster Feind.

FRÄULEIN KAROLINE lachend. Meiner auch!

FRÄULEIN AMALIE. Das müßte ein Barbar sein!

FRÄULEIN KAROLINE lachend. O ja! ein Husar und ein Pandur.


Quelle:
Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Aufklärung. Band 6, Leipzig 1933–1935, S. 89-92.
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