Auf die Thränen

[53] Du treuer Augensafft! wann ich schier gar verschmachte /

in Ohnmacht sink dahin / so spritzstu ins Gesicht.

Du bist bey mir / wann ich bin bey mir selber nicht.

Sonst alle Labnuß ich / nur deine nicht / verachte.

Du Brunn der wahren Lieb'! in dir / ich Gott betrachte /

ja neben mir erblick' in seinem gnaden-Liecht.

Ich senk / ertränk in dir die Noht / die mich anficht /

du Herzgrund-Rotes Meer / den Sündhund dir auch schlachte.

Die Tugend-Thetis / so bewohnet deinen grund /

wann Vnglück mich verfolgt und ich in dich mich stürze /

nimmt in ihr Königreich mich auff / mir zuflucht gunnt.

Du trauer-saure flut / mein Leben mir verkürze!

ihr Thränen / trennet mich von diesem Jammer Ort!

als Perlen / Diamant werdt ihr mich zieren dort.

Quelle:
Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette, Nürnberg 1662, S. 53-54.
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