An den Mond

[10] Wandle, wandle, holder Schimmer!

Wandle über Flur und Au,

Gleitend, wie ein kühner Schwimmer,

In des stillen Meeres Blau.


Sanft im Silberglanze schwebest

Du so still durchs Wolkenmeer,

Und durch deinen Blick belebest

Du die Gegend rings umher.


Manchen drücket schwerer Kummer,

Manchen lastet Qual und Pein;

Doch du wiegst in sanften Schlummer

Tröstend ihn, voll Mitleid, ein.
[10]

Sanfter, als die heiße Sonne,

Winkt dein Schimmer Ruh und Freud,

Und erfüllt mit süßer Wonne,

Tröstung und Vergessenheit.


Hüllst in dichtbewachsnen Lauben

Mit der sanften Fantasie

Ganz den Dichter; machst ihn glauben,

Seine Muse weiche nie.


Und auch mich hast du begeistert,

Der ich dir dies Liedchen sang,

Meiner Seele dich bemeistert,

Da mein Lied sich aufwärts schwang!


Den 14ten August 1804


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 10-11.
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