Die Krone

[25] Fürst Midas mit den Eselsohren,

Vom Hauptschmuck so genannt,

Wars, der den Nimbus mancher Toren,

Das Diadem erfand.
[25]

Er, den Apoll mit langen Läppchen

So herrlich dekoriert,

Hat auch mit einem Purpurkäppchen

Zuerst sein Haupt geziert.


Und so versteckt er seine Mängel

In Mützen von drap d'or,

Wie manche unsrer holden Engel

Die ihrigen in Flor.


So stand es, als bei seinem Sterben,

Als Fideikommiß,

Er seinem Sohn als nächsten Erben

Das Mützchen hinterließ.


Der Erbe rief mit Spott und Staunen,

Ei, Freunde, seht doch, seht!

Fürst Midas hatte seltne Launen!

Ei, seht doch, wie das steht!


Er ziert es mit gestickten Streifchen

Und zerret, ändert, schiebt

So lange, bis mit einem Reifchen

Von Gold er es umgibt.


Das Reifchen wird nun bald verbessert,

Mit Steinen bunt besetzt,

Sein Wert gar bald vergrößert,

Als höchstes Gut geschätzt.


So ward die Krone, deren Schimmer

Manch langes Ohr versteckt

Und deren blendendes Geflimmer

Selbst Lastertaten deckt.


Den 5ten April 1806


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 25-26.
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