Das wahre Vergnügen

[47] Mögen mordbegierge Helden

Sich der blutgen Siege freun,

Und die Trümmer halber Welten

Jubelnd in die Lüfte streun!


Mögen wütenden Despoten,

Die der Krone Zier entweihn,

Jubelnd feile Sklavenrotten

In dem Staube Weihrauch streun!


Ich beneide sie doch nimmer!

In des höchsten Glückes Schoß

Und umringt von Ehr und Schimmer,

Ist doch kummervoll ihr Los;


Durch die Siegeslieder tönen

Flüche ihren Schritten nach,

Der gedrückten Unschuld Stöhnen

Dringt ins innerste Gemach.


An der sanften Phillis Seite,

Hingelehnt an ihre Brust,

Lach ich ihrer Ränk und Streite,

Fühle Seligkeit und Lust.


Nur den Grazien und Musen

Leb ich; Lieb und froher Scherz

Füllt mit Freude mir den Busen,

Rein und schuldlos pocht mein Herz.


Tobet, Helden, herrschet, sieget,

Bis euch Charons Nachen ruft;

Den, dem kaum die Welt genüget,

Deckt mit mir einst eine Gruft.


Drum will ich der Lust genießen,

Freud ist der Natur Gebot,

Unter Lieben, Trinken, Küssen,

Finde fröhlich mich der Tod!


Den 21ten März 1807


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 47-48.
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