Einem deutschen Fürsten

[331] Liebäugle nicht mit dem Unverstand,

Mit des Volkstums regem Dünkel!

Ich tauschte nicht für Gewalt und Land

Die Ruh im eignen Winkel.


Die Einheit der Deutschen bahnst du an,

Doch der Winzer ist nicht der Leser,

Nur andern frommte, was du getan,

Du wärst nur Reichsverweser.


Ob schlau und fein ihrs kartet gleich,

Die Natur ist dennoch weiser,

Sie deutet hin auf Österreich,

Das der wahre deutsche Kaiser.


Gelänge dir auch der schwere Versuch,

Daß gleiche Fürsten dir dienen,

Geheilt wär Deutschlands arger Bruch,

Doch dein Reich, es schmölze mit ihnen.


Wenn dann der Tag und die Stunde erreicht,

Mit Östreichs Obmacht trächtig,

Dann fände man gar die Wahrheit vielleicht,

Daß Preußen der Einheit zu mächtig,


Und im Fürstenrat, der in festes Gleis

Einst lenkt die Wirren der Neuheit,

Wär etwa Schlesien gar der Preis

Für Italiens künftige Freiheit.

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 331.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Gedichte und Dramen
Medea: Trauerspiel in fünf Aufzügen. Dritte Abteilung des dramatischen Gedichts »Das Goldene Vlies«
Das goldene Vliess: Dramatisches Gedicht in drei Abteilungen. (Der Gastfreund, Die Argonauten, Medea)
Gedichte Reclam
Sämtliche Werke: Erster und zweiter Band: Gedichte