7. Der Affe und die Schildkröte.

[194] Die Affen hatten einst einen König. Weil er aber alt und schwach wurde, jagten sie ihn aus ihrem Lande, und wählten sich einen andern. Der vertriebene König lief dahin und dorthin, bis er endlich an das Gestade des Meeres kam, wo viele Feigenbäume und andre gute Fruchtbäume standen. Er sah sich um in der Gegend, und beschloß da zu wohnen, denn es waren keine wilden Thiere da, und was er brauchte, wuchs im Überflusse. Darum stieg er gleich auf einen Feigenbaum, und fraß von den Früchten desselben. Wie er aber so darauf herumkletterte,[195] fiel ihm einmahl eine Feige hinab, und eine Schildkröte schwamm herzu, und fraß sie. Da warf er noch etliche hinab, und die Schildkröte fraß sie alle auf, und rief ihm zu, und dankte ihm, und er sprach mit ihr, und so machten sie Freundschaft mit einander.

Der Affe warf der Schildkröte immer von seinen Früchten zu, und der Schildkröte gefiel das gute Leben so wohl, daß sie gar nicht mehr an ihr Haus und ihr klein Töchterchen dachte, das sie zu Hause gelassen hatte. Das Schildkrötentöchterchen aber ward ganz traurig, daß seine Mutter nicht mehr nach Hause kam, und klagte seine Noth einer andern Schildkröte, die in der Nähe wohnte.

»Sey nur ruhig,« sagte die Nachbarinn; »ich habe deine Mutter noch heute gesehen. Ich war von unserer Insel hinüber geschwommen an's feste Land, dort allerley Gewürm zu suchen, da sah ich sie freundlich reden mit einem Affen. Der Affe ist Schuld dran, daß sie dich so vergißt. Freylich, der Affe[196] könnte sie am Ende bereden, daß sie dich gar verließ, darum mußt du machen, daß er aus dem Wege geschafft wird?«

»Ja, wie kann ich das?« fragte die junge Schildkröte. Aber die Nachbarinn sagte: »Da laß mich nur machen,« und rieth ihr, sie solle nur eine Zeitlang wenig essen, und recht in der Sonnenhitze sich aufhalten, daß sie recht elend und abgezehrt aussehe, und solle sich nur recht krank stellen, wenn ihre Mutter käme; für's andre wolle sie dann schon sorgen. Das that die junge Schildkröte auch, und wie sie endlich ein Paar Tage darauf ihre Mutter auf dem Wasser herschwimmen sah, rief sie schnell der Nachbarinn, und legte sich in ihr Bette, das vom Schlamme des Meeres gemacht war, und stellte sich gar krank und matt.

Wie nun ihre Mutter herein kam, und ihr Töchterchen so elend und abgezehrt da liegen sah, erschrack sie nicht wenig. »Liebes Kind, was fehlt dir? was machst du?« so fragte sie, und weinte.[197]

»Ja« sagte die Nachbarinn, »eure Tochter ist sehr krank; es steht sehr gefahrlich mit ihr. Und das Schlimmste bey der Sache ist, daß nur ein Mittel ihr helfen kann, und das kann man nicht kriegen in unsrer Gegend.«

»Ach was ist das für ein Mittel?« fragte die Mutter, »Ich will ja gern alles anwenden es zu kriegen, und sollt ich selbst hundert Meilen darum reisen. Sagt doch, was ist das für ein Mittel?«

»Ja,« sagte die Nachbarinn wieder, »das könnt ihr nicht kriegen. Eure Tochter kann nur wieder gesund werden, wenn sie das Herz eines Affen frißt, sonst ist alle Hilfe vergeblich.«

Da lief die Schildkrötenmutter hinaus, einen Affen zu suchen, und ihn mit List zu besiegen. Aber sie suchte den ganzen Tag, und fand keinen. Da es nun gegen Abend ging, kam sie eine grosse Furcht an, sie möchte ihr liebes Töchterlein verlieren, und sie beschloß, lieber ihren guten Freund umzubringen.[198] Wie aber? Sie fühlte sich zu schwach. Darum besann sie sich auf eine List, und schwamm hin zu ihm.

»Ey, Freundinn wo bleibst du denn so lange?« rief ihr der Affenkönig entgegen.

»Die Wahrheit zu gestehen,« sagte sie, »ich schämte mich. Du hast mir schon so viele Freundschaft erwiesen, und ich dir gar nichts. Ich war deßhalb zu Hause, dort auf der Insel, und habe meiner Tochter aufgetragen, uns auf den Abend ein klein Gastmahl zuzurichten. Jetzt bin ich da, dich abzuhohlen.«

Der Affenkönig wollte im Anfange nicht mitgehen, wie ihm aber die Schildkröte von Melonen und solchen Früchten erzählte, die es auf ihrer Insel gebe, ließ er sich doch überreden. »Wie komme ich aber hinüber?« fragte er. »Ey« antwortete die Schildkröte? »du setzest dich auf meinen Rücken, und so bringe ich dich hinüber. Ich kann gut schwimmen, und auf meinem breiten Rücken ist Platz genug für dich.«[199]

Das gefiel ihm, er setzte sich auf den breiten hörnernen Rücken seiner Freundinn, und zog seine Füsse recht an sich, um nicht naß zu werden, und die Schildkröte segelte ab.

Wie sie aber unterwegs war, da bedachte sie erst recht, was sie thun wollte, und da fiel ihr erst ein, wie gottlos es sey, daß sie ihren treuen Freund, den Affen, so treuloser Weise ums Leben bringen wollte. Und wie sie so dachte, hielt sie im Schwimmen still.

Das gefiel dem Affenkönig nicht recht, und er fragte ganz ängstlich: »Was ist das? Warum hältst du inne? du wirst doch nichts Unrechtes im Sinn haben? Du bist mir schon den ganzen Abend so vorgekommen?« Aber die Schildkröte konnte es jetzt nicht länger über's Herz bringen, und gestand ihm ihre Arglist, und daß ihre Tochter krank wäre, und nur durch ein Affenherz wieder hergestellt werden könnte.

»Das ist eine fatale Arzney für dich!« dachte der Affenkönig. Was wollte er aber jetzt machen? Er war einmahl in ihrer Gewalt,[200] und fürchtete, sie möchte ihm doch ihre Tochter vorziehen. Da bedacht er sich schnell auf eine List, und sagte: »Was? ist es weiter nichts, als ein Affenherz? O, warum hast du mir das auch nicht früher gesagt? Dann hätte ich doch mein Herz mit mir nehmen können, um deiner Tochter zu helfen.«

»Ey« sagte die Schildkröte verwundert, »hast du denn dein Herz nicht bey dir?«

»Gott bewahre! nein!« antwortete der Affenkönig. »Das liegt wohlverwahrt dort am Lande in einem hohlen Feigenbaum.«

»Warum trägst du aber dein Herz nicht bey dir?« fragte die Schildkröte.

»Ja,« sagte der Affenkönig »weißt du denn das nicht? Siehe, wir Affen haben ein gar zänkisches und unverträgliches Herz. Darum ist es uns von Natur vergönnt, daß wir es heraus nehmen können, wenn wir mit guten Freunden zusammen seyn wollen. Darum habe ich es auch heute zu Hause gelassen, um in deinem Hause keinen Streit[201] anzufangen. – Aber höre, wenn dir daran gelegen ist, so komm, so hohlen wir's.«

Die thörigte Schildkröte glaubte alles, was er sagte, und erwiederte: »Ja, ja, das wollen wir!« und kehrte um, und setzte ihn wieder an's Land.

Der Affenkönig aber war froh, daß er der Gefahr entronnen war, und schwang sich fröhlich auf seinen Baum. Da er aber nicht mehr herunter kommen wollte, rief ihm die Schildkröte zu: »Nun, wo bleibst du so lange?«

Da lachte er sie aber brav aus, weil sie so dumm war, und ihm geglaubt hatte; und die Schildkröte schwamm traurig heim, und blieb wieder zu Hause. Da ward auch ihr Töchterchen wieder gesund ohne das Affenherz.

Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Kindermährchen. Heidelberg [1809], S. 194-202.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Kindermärchen
Kindermärchen

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon