Zweite Scene.

[101] (Roselindens Zimmer in Schira's Hause.)


(Nacht.)


Roselinde, Miß Käthe, ihre Dienerin leuchtet ihr herein.


Roselinde.


Heute ist es spät geworden.


Miß Käthe.


Die Gesellschaft war recht fröhlich.


Roselinde.


Komm, entkleide mich jetzt eilig.


Miß Käthe.


Aber königliche Feste

Feiert Euer edler Vater.

Schon sind's heute vierzig Tage,

Seit sie angefangen haben.


Roselinde.


Vierzig Tage schon vorüber?


Miß Käthe.


Freilich, ach! ich rechne immer.

Bald, gar bald sind's sechzig Tage,[101]

Und dann müssen wir zurück

Zu Herrn Mordi's Frühlingsgarten,

Dann wird, leider! aus Miß Käthchen

Euer graues Misekätzchen,

Und dann muß ich wieder schnurren

Und miauen, statt zu reden.


Roselinde.


Ist es möglich? vierzig Tage!

Und was mag Herr Mordi machen?

Ach, den hätt' ich fast vergessen,

Hab' ihm Schmerzen viel verursacht.

Her, geschwind, geschwind den Spiegel!


Miß Käthchen hält ihr den Spiegel vor.


Nun? was seht Ihr?


Roselinde weinend.


Lieber Himmel!

Er ist krank. Da liegt er elend

In dem Garten.


Miß Käthchen.


Krank? unmöglich!

Ist ihm denn nicht mehr zu helfen?


Roselinde.


Hast doch von dem blauen Balsam

Jetzt noch etwas in der Flasche.


[102] Miß Käthchen.


Ihr habt viel davon verbrauchet,

Habet ja so viele Kranke,

Seit Ihr hier seid mit geheilet,

Heut erst noch den Besenbinder.

Doch 's ist noch ein wenig übrig.


Roselinde.


Doch noch etwas? nimm es zu dir.


(Sie ruft.)


Diener! Holla!


(Ein Diener kommt.)


Schnell den Wagen!


Diener.


Er ist unten, noch bespannet.


(ab.)


Roselinde zu Miß Käthchen.


Folge schnell mir mit dem Balsam.

Alle liegen jetzt im Schlafe.

Laß uns sachte, sachte schleichen.

Nein, der Abschied hält nur auf,

Und vielleicht an der Minute

Hängt des guten Mordi's Leben, –

Wenigstens sehr große Schmerzen.

– Ach, wie vieles, vieles Gute[103]

Hat er mir nicht schon erwiesen!

Hat er durch den Lebensbalsam

Meinen Vater nicht errettet?

Müßt' ich nicht undankbar heißen,

Zögert' ich jetzt eine Stunde

Ihm mit Gleichem zu vergelten?


(Sie geht ab, Miß Käthchen folgt ihr.)


Schira,

nach einer Weile kommend.


Wunderlich! sonst träumt' ich öfter,

Dachte nie daran, daß Wahrheit

Mir ein Traum verkünden könnte.

Aber dieser treibt mich heute

In der Nacht aus meinem Bette.

Und was seh ich? Ja, die Lichter

Brennen hier noch auf dem Tische.

Und wo sollte Roselinde

Denn noch sein? Es schläft schon Alles,

Sie allein ist nicht zu Bette.

Und ihr Bett noch unberühret.


(Er sieht umher.)


Aber ihre Sachen alle,

Ihre Kleider, ihre Schuhe

Sind noch da, all ihr Gepäcke.


(Er sieht den Zauberspiegel und nimmt ihn.)
[104]

Ei, was ist das für ein Spiegel?

Welcher wunderliche Rahmen?


(Er sieht hinein.)


Muß doch auch einmal hinein sehn.

– Ei, da seh' ich sie im Spiegel!

Ei, da sitzt sie in der Kutsche!

Was ist das für eine Gegend,

Die mir so bekannt erscheinet? –

Ach, das geht nach Mordi's Garten. –

– So verließest du mich wieder,

Meine liebe Roselinde?

Und ich soll allein hier bleiben?


(Er besinnt sich.)


Nein! ich weiß jetzt was ich thue.

Kost' es mich auch was es wolle,

Kost' es mich auch selbst das Leben,

Hier verbleib' ich nicht mehr länger,

Reise nach zu Mordi's Garten,

Bleibe dort bei Roselinde.

– Meine beiden ältern Töchter

Lieben doch mich nicht von Herzen,

Werden sich zufrieden geben,

Wenn sie meine Schätze haben,

Daß sie reich sich kleiden können,[105]

Und um große Summen Geldes

Spielen mit den Königstöchtern.


(ruft:)


Heda! Sami! – Holla! Sami!


Sami kommt.


Was befehlt Ihr, mein Gebieter?


Schira.


Laß den Wagen schnell bespannen.


Sami.


Wollet Ihr so spät noch reisen?

Und alleine?


Schira.


Willst du mit mir?


Sami.


Wenn Ihr mich auch brauchen könnet.


Schira.


Doch wir kehren schwerlich wieder.


Sami.


Euer Schicksal will ich theilen.


Schira.


Doch du zitterst, wenn ich sage,

Wo ich hin zu reisen denke.


Sami.


Herr, und wenn's durchs Feuer ginge, –[106]

Ja, ging's hin zu Mordi's Garden,

Würd' ich doch Euch nicht verlassen.


Schira.


Ja, es geht zu Mordi's Garten,

Geht zu meiner Roselinde.


Sami.


Ist sie wieder dort? – Mit Freuden

Folg' ich Euch und ohne Zittern.


Schira.


Bist ein treuer Diener! – Sorge,

Daß man uns die schnellsten Rosse

Jetzt an unsern Wagen gebe.


Sami.


Folgt nur bald hinab zum Wagen,

Denn geschirrt sind bald die Pferde.


(ab.)


Schira.


Ei, mit wem spricht denn der Alte?

Wer ist noch so spät da draussen?


(Es pocht an der Thüre.)


Nur herein!


Besenstielchen kommt schüchtern.


Schira.


Ei, Besenstielchen,

Was führt dich so spät herüber?


[107] Besenstielchen.


Danken wollt' ich Roselinden,

Denn am Tag hab' ich zu schaffen;

Abends aber sind die Feste,

Da ich auch nicht kommen konnte.


Schira.


Danken?


Besenstielchen.


Ja, ich wollt' ihr danken.

Ach, sie ist so gut und freundlich.

Seit sie hier ist, kam sie immer

Schon zu mir am frühen Morgen.

Manches that sie mir zu Liebe.

Doch vor Allen hat sie heute,

Da ich draussen war im Walde,

Besenreiser dort zu holen –

Denn, Ihr wißt, der Vater kann nicht,

Hält die Besen auf dem Markte

Immer nur noch zum Verkaufe,

Weil er gar zu schwächlich worden,

Da hat sie ihm heut am Tage

Ganz geheilt mit einem Balsam,

Als sie ihn am Markt gesehen.

Dafür wollt ich ihr nun danken.


[108] Schira.


Kannst ihr aber jetzt nicht danken,

Sie ist fort, nach Mordi's Garten.


Besenstielchen.


Ist sie fort nach Mordi's Garten?


Schira.


Und ich reis' ihr nach so eben.


Besenstielchen.


Ach! dürft' ich doch auch mitreisen.


Schira.


Willst du mit? – Sags deinem Vater,

Mit mir nehm' ich dich recht gern.


Besenstielchen.


Wollt Ihr? – O, da reis' ich mit Euch.

Vater wird es gern erlauben.

Will ihn gleich darum befragen.


(schnell ab.)


Schira setzt sich und schreibt.


Daß Hirlande und Astralle

Wissen, wo ich hingekommen

Will ich schriftlich Abschied nehmen.


(Er schreibt einige Zeilen, steht auf.)


So, nun hab' ich aufgeschrieben,

Daß ich weit von hier verreise,[109]

Daß ich nimmer wieder komme,

Daß Hirlande und Astralle

Sich in meine Schätze theilen,

Und für todt mich ansehn sollen.

– – Leb denn wohl, du alte Heimath!

Oft bin ich hier ausgezogen,

Aber immer wieder kommen.

Heute zieh' ich denn von dannen,

Kehre nimmermehr zurück.

Lebt hier niemand, der mich liebet,

Als der alte, treue Sami,

Als das gute Besenstielchen,

Und die nehm' ich mit von dannen.

Lebe wohl, du alte Heimath!

Keine Heimath bist du ferner,

Denn wo keine Liebe wohnet,

Ist ein jedes Land uns Fremde.


(ab.)


Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Lina’s Mährchenbuch 1–2. Band 1, Grimma 21837, S. 101-110.
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