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Erstes Kapitel.

Es war einmal ein Ritter, der hieß Arbogast, und wohnte auf einer einsamen Burg im dichten Walde, die lag ferne von den Städten, und unten bei der Burg hatten sich nur einige Hirten angesiedelt, und ihre Hütten erbaut, und ihr Vieh weideten sie auf den Waldwiesen umher. Die Burg war aber oben fast ganz umwachsen von hochstämmigen Eichen mit weit ausgebreiteten Aesten, von laubigen Buchen, und dunkeln Föhrenbäumen, die sie ganz in ihrem Schatten versteckten, und ihr ein so finstres Ansehen gaben, daß sie von den wenigen Menschen, die sie jemals gesehen, nur die Finsterburg genannt wurde. Aber auch im Innern der Burg sah es nicht heiterer aus; denn Ritter Arbogast ward nicht umsonst von seinen Knappen und Dienern der finstre Ritter geheißen. Seit er seine Gemahlin, Frau Gertrud, mit seinem Liebling, ihrem kleinen Töchterlein, an einem Tage verloren, ohne daß Knappen und Diener erfahren hatten,[85] wohin sie beide entschwunden, war seine frühere laute, lärmende Strenge zu finsterm, stummem Ernste verwandelt.

Im Anfang nach dem Verschwinden der frommen Frau Gertrud hatte Ritter Arbogast wohl gepflegt, in jedem Frühlinge hinauszuziehen, und nach weiten Fahrten erst im Spätherbste wieder mit seinen Knappen und reisigen Knechten nach Hause zu kehren. Den Winter brachte er auf gefahrvollen Wolfs- und wilden Eberjagden zu, bis er mit dem ersten Hervorsprossen der Birkenknospen wieder hinauszog in die Ferne. Aber selbst die Knappen und Reisigen, so ihn auf diesen Fahrten begleiteten, wußten nicht, warum er sie jedesmal unternahm, und trugen sich nur mit der Vermuthung, er suche die verlorene fromme Frau Gertrud mit ihrem holden Töchterlein. Seit etlichen Jahren hatte Ritter Arbogast aber diese Fahrten unterlassen, und selbst auf die Jagd pflegte er nur dann zu ziehen, wenn er einige Wochen recht in Hinbrüten mit herabgezogenen Augenbraunen und starren Augen hingebracht hatte. Dann fuhr er auf einmal rasselnd in seinem Harnisch auf, und stürmte hinaus, und schweigend zogen ihm seine Knappen nach, und sagten oft untereinander: »Es muß ein böser Geist sein, der Macht hat über unsern Herrn, und ihm die Ruhe der Seele stört.« Und Andere sprachen wohl noch härtere Worte und sagten: »Ja, der böse Geist, der in ihm wohnt, mag[86] wohl sein Gewissen sein, das ihn drückt, um schwerer Verbrechen willen; denn er war früher ein rascher, schnellfertiger und jähzorniger Mann.« –

Wenn Herr Arbogast aber wieder heimkam von seinem Jagdzuge, so saß er wieder stumm in der Halle, und mußt' Alles still um ihn sein, gleich ihm selber. Ja es war ihm recht zuwider, wenn sogar sein eigener, einziger Sohn, der Zwillingbruder seines verlorenen Lieblings, in kindlicher Unschuld um ihn spielte, oder ein kindisches Wort zu ihm sprach. Selbst sehen mochte er ihn nicht einmal um sich, und schien ihm ordentlich gram zu sein. Darum hatte er ihn auch schon als kaum lallendes Kind der Pflege des alten Leuthold übergeben, der mit recht väterlicher Sorgfalt über seine Jugend wachte.

Adelbert aber, das war der Knabe des Ritters, wuchs in fröhlicher Unschuld heran, und ward ein schönes Bild der blühendsten Anmuth. Nach dem Willen seines Vaters lernte er zwar von dem Leuthold bei heranwachsenden Jahren die Armbrust spannen, Schwerdt und Rosse lenken, und Speere und Streitaxt führen. Wenn aber die Uebungsstunden vorbei waren, dann schnallte er Schwertgehäng und Sporen fröhlich ab, und hängte die Armbrust an ihren Nagel; und dann gings hinaus zu den Kindern der Hirten im Thale, und da lebte er erst recht auf bei alten Mährchen,[87] die ihm die Knaben erzählten. Die allergrößte Lust gewährte es ihm aber, wenn ihm ein alter einsiedelnder frommer Mann, den man insgemein nur Großvater hieß, mit zitternder Stimme ein Lied sang und auf einer alten zersprungenen Zither die Töne begleitete, da er ihm denn wohl nach dem Liede auch manchmal die Zither selbst in die Hand gab, und ihn in dem Saitenspiel unterwies. Wenn ihm dann der alte Großvater erzählte, daß es auch viele Rittersöhne gäbe, die nicht ihr ganzes Leben dem Kampf und der Jagd geweiht hätten, die vielmehr mit dem fröhlichen Saitenspiel als hochverehrte Sänger von Land zu Land reisten, und Aller Herz erfreueten, wohin sie kämen, und hochgeehrt würden von Königen und edlen Frauen, da schwoll Adelberten immer das Herz in heißer Sehnsucht auf, und gewiß lag er dann jedesmal in der folgenden Nacht meistens schlaflos auf seiner Ruhestätte, und betete zu Gott recht inbrünstig: »O gib, daß ich doch auch einmal so ein Sänger werde, aber der besten einer, dessen Namen man nennt von Lande zu Lande!« Und in dieser Sehnsucht stieg er oft und öfter hinab zu dem alten Großvater, und lernte bald selbst kleine Weisen den Saiten der Zither entlocken, und ein selbst erdachtes Lied dazu singen. Wenn er aber sang, so horchten die Hirten begierig, jung und alt, und erhoben sein Lied, wenn sie es gleich nicht immer verstanden. Denn in jedem sprach[88] er von seiner Sehnsucht nach dem Stande des Sängers. Der alte Großvater aber verstand sein Inneres wohl, und rieth ihm eines Tages: »Gehet hin, und bittet Euern Herrn Vater, lieber Jungherr, wornach Eure Sehnsucht stehet. Ich meine, ich würd's einem Sohne nicht abschlagen.«

Da machte sich Adelbert auf, und stieg eilig den Berg hinan, und trat noch außer Athem vor seinen Vater, und sprach: »Ich bitt' Euch, lieber Vater, wolltet mir die erste Bitte nicht abschlagen, so ich jetzt an Euch thue, und scheltet mich nicht ein Kind, so Euch auch meine Bitte kindisch bedünken mag; denn sie entspringt nicht aus kindischem Trachten nach einem eiteln Spielzeug, die ganze Freudigkeit meines künftigen Lebens hängt davon ab.«

Herr Arbogast war aber in der Halle gesessen, und hatte wieder vor sich hingestarrt, als sein Sohn Adelbert so hastig hereingetreten war. Da er aber also gesprochen, schaute der Ritter verwundert und mit fragendem Blicke auf den zu den Jünglingsjahren herangewachsenen Knaben, und winkte ihm, seine Bitte vorzutragen.

Da fuhr Adelbert fort: »Schickt einen Knappen und laßt mir eine Zither holen; denn ich will kein Ritter werden.« – Aber er hatte noch kaum so weit gesprochen, da rasselte sein Vater in seinem Harnisch auf, und faßte sein Schwert, so neben ihm stand, und schlug mit dem Griffe[89] desselben auf den steinernen Tisch, daß die Platte zersprang, und stampfte mit dem Fuße, daß die Halle erdröhnte, und Funken aus dem Estrich stoben, und rief mit donnernder Stimme: »Zur Hölle! wer hat dich das Wort gelehrt, Knabe? das Wort, das ich über Alles hasse auf Erden! das ich nie mehr hören wollte! Wer hat dir das Wort genannt? und hat er dir auch schon am Ende gar von der schwarzen Zither vorgeredet? Sprich! hat er? hat er?« Da antwortete der Knabe etwas erschrocken: »Nein, Vater, von der schwarzen Zither weiß ich nichts! Aber sollte der Name des freundlichen Saitenspiels denn so böse sein, da das Ding selbst so gut ist, und eine Gabe des Himmels sein muß mit seinen holden Klängen?«

»Fort! fort, aus meinem Angesicht!« donnerte da des Vaters Stimme, »und komm' mir so bald nicht wieder unter die Augen.«

Da verließ er betrübt und traurig die Halle, und hinter ihm schlug der erzürnte Arbogast heftig die schweren Thürflügel zu.

Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Lina’s Mährchenbuch 1–2. Band 2, Grimma 21837, S. 83-90.
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