87. Der Brutpfennig

[124] Der Brutpfennig oder Heckegroschen soll auf folgende heillose Weise erlangt werden: Die sich dem Teufel verbinden wollen, gehen auf Weihnachtsabend, so es beginnet zu dunkeln, nach einem Scheideweg unter dem offenbaren Himmel. Mitten auf diesem Flecken legen sie dreißig Pfennige oder auch[124] Groschen, Taler in einem runden Ring der Reihe nach nebeneinander hin und heben an, die Stücke vorwärts und rückwärts zu zählen. Dies Zählen muß gerade geschehen in der Zeit, wenn man zur Messe läutet. In dem Zählen nun sucht der höllische Geist durch allerhand schreckliche Gesichter von glühenden Ofen, seltsamen Wagen und hauptlosen Menschen irrezumachen, denn wenn der Zählende im geringsten wankt und stolpert, wird ihm der Hals umgedreht. Wofern er aber richtig vor- und nachgezählt, so wirft der Teufel zu den dreißig Stücken das einunddreißigste in gleicher Münze hin. Dieser einunddreißigste Pfennig hat die Eigenschaft, daß er alle und jede Nacht einen gleichen ausbrütet.

Eine Bäuerin zu Pantschdorf bei Wittenberg, die einen solchen Brutpfennig hatte, wurde auf diese Art als Hexe kundgemacht: Sie mußte einmal notwendig ausgehen und hieß die Magd, die Milch von der gemelkten Kuh (eh sie die andern melkte) alsbald sie den, auf Weißbrot in einer dastehenden Schüssel gießen und in eine gewisse Kiste setzen, welche sie ihr zeigte. Die Dienstmagd vergaß das entweder oder dachte, es wäre gleichviel, ob sie die Milch vor oder nach dem Melken der anderen Kühe aufkochte, und tat also erst ihre ganze Arbeit. Nachher nahm sie die siedende Milch vom Feuer, und in der einen Hand den Topf haltend, mit der andern im Begriff, die bezeichnete Kiste zu öffnen, sah sie in dieser ein pechschwarz Kalb sitzen, das den Mund aufsperrte. Vor Schrecken goß sie die gesottene Milch in seinen Rachen, und in selbem Augenblick floh das Kalb davon und steckte das ganze Haus in Brand. Die Frau wurde eingezogen und bekannte; ihren Brutpfennig haben die Bauern noch lange Zeit in der gemeinen Kassa aufbewahret.

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 124-125.
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