127. Der Glockenguß zu Attendorn

[156] Zu Attendorn, einem kölnischen Städtchen in Westfalen, wohnte bei Menschengedenken eine Witwe, die ihren Sohn nach Holland schickte, dort die Handlung zu lernen. Dieser stellte sich so wohl an, daß er alle Jahr seiner Mutter von dem Erwerb schicken konnte. Einmal sandte er ihr eine Platte von purem Gold, aber schwarz angestrichen, neben andern Waren. Die Mutter, von dem Wert des Geschenks unberichtet, stellte die Platte unter eine Bank in ihrem Laden, allwo sie stehenblieb, bis ein Glockengießer ins Land kam, bei welchem die Attendorner eine Glocke gießen und das Metall dazu von der Bürgerschaft erbetteln zu lassen beschlossen. Die, so das Erz sammelten, bekamen allerhand zerbrochene eherne Häfen, und als sie[156] vor dieser Witwe Tür kamen, gab sie ihnen ihres Sohnes Gold, weil sie es nicht kannte und sonst kein zerbrochen Geschirr hatte.

Der Glockengießer, so nach Arensberg verreist war, um auch dort einige Glocken zu verfertigen, hatte einen Gesellen zu Attendorn hinterlassen, mit Befehl, die Form zu fertigen und alle sonstigen Anstalten zu treffen, doch den Guß einzuhalten bis zu seiner Ankunft. Als aber der Meister nicht kam und der Gesell selbst gern eine Probe tun wollte, so fuhr er mit dem Guß fort und verfertigte den Attendornern eine von Gestalt und Klang so angenehme Glocke, daß sie ihm solche bei seinem Abschied (denn er wollte zu seinem Meister nach Arensberg, ihm die Zeitung von der glücklichen Verrichtung zu bringen) so lang nachläuten wollten, als er sie hören könnte. Über das folgten ihm etliche nach, mit Kannen in den Händen, und sprachen ihm mit dem Trunk zu. Als er nun in solcher Ehr und Fröhlichkeit bis auf die steinerne Brücke (zwischen Attendorn und dem fürstenbergischen Schloß Schnellenberg) gelanget, begegnet ihm der Meister, welcher alsobald mit den Worten: »Was hast du getan, du Bestia!« ihm eine Kugel durch den Kopf jagte. Zu den Geleitsleuten aber sprach er: »Der Kerl hat die Glocke gegossen wie ein anderer Schelm«, er wäre erbietig, solche umzugießen und der Stadt ein ander Werk zu machen. Ritte darauf hinein und wiederholte seine Reden, als ob er den Handel gar wohl ausgerichtet. Aber er wurde wegen der Mordtat ergriffen und gefragt, was ihn doch dazu bewogen, da sie mit der Arbeit des Gesellen doch vollkommen zufrieden gewesen? Endlich bekannte er, wie er an dem Klang abgenommen, daß eine gute Masse Gold bei der Glocke wäre, so er nicht dazukommen lassen, sondern weggezwackt haben wollte, dafern sein Gesell befohlnermaßen mit dem Guß seine Ankunft abgewartet, weswegen er ihm den Rest gegeben.

Hierauf wurde dem Glockenmeister der Kopf abgeschlagen, dem Gesell aber auf der Brücke, wo er sein End genommen, ein eisern Kreuz zum ewigen Gedächtnis aufgerichtet. Unterdessen konnte niemand ersinnen, woher das Gold zu der Glocke gekommen, bis der Witwe Sohn mit Freuden und großem Reichtum beladen nach Haus kehrte und vergeblich betrauerte,[157] daß sein Gold zween um das Leben gebracht, einen unschuldig und einen schuldig, gleichwohl hat er dieses Gold nicht wiederverlangt, weil ihn Gott anderwärts reichlich gesegnet.

Längst hernach hat das Wetter in den Kirchturm geschlagen und, wie sonst alles verzehret, außer dem Gemäuer, auch die Glocke geschmelzt. Worauf in der Asche Erz gefunden worden, welches an Gehalt den Goldgülden gleich gewesen, woraus derselbige Turm wiederhergestellt und mit Blei gedeckt worden.

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 156-158.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Sagen
Deutsche Sagen
Deutsche Sagen
Deutsche Sagen (insel taschenbuch)
Deutsche Sagen
Deutsche Sagen: Herausgegeben von den Brüdern Grimm