250. Die Katze aus dem Weidenbaum

[254] Ein Bauernknecht von Straßleben erzählte, wie daß in ihrem Dorfe eine gewisse Magd wäre, dieselbe hätte sich zuweilen vom Tanze hinweg verloren, daß niemand wußte, wo sie hinkommen, bis sie eine feine Weile hernach sich wieder eingefunden. Einmal beredete er sich mit andern Knechten, dieser Magd nachzugehn. Als sie nun sonntags wieder zum Tanze kam und sich mit den Knechten erlustigte, ging sie auch wieder ab. Etliche schlichen ihr nach, sie ging das Wirtshaus hinaus aufs Feld und lief ohne Umsehen fort, einer hohlen Weide zu, in welche sie sich versteckte. Die Knechte folgten nach, begierig zu sehen, ob sie lange in der Weide verharren würde, und warteten an einem Ort, wo sie wohlverborgen standen. Eine kleine Weile drauf merkten sie, daß eine Katze aus der Weide sprang und immer querfeldein nach Langendorf lief. Nun traten die Knechte näher zur Weide, da lehnte das Mensch oder vielmehr ihr Leib ganz erstarret, und sie vermochten ihn weder mit Rütteln noch Schütteln zum Leben bringen. Ihnen kommt ein Grauen an, sie lassen den Leib stehen und gehen an ihren vorigen Ort. Nach einiger Zeit spüren sie, daß die Katze den ersten Weg zurückgeht, in die Weide einschlüpft, die Magd aus der Weide kriecht und nach dem Dorfe zugeht.[254]

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 254-255.
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