345. Der Kessel mit Butter

[324] Unter einem Berg des Vispertales, nicht weit von Alttesch, soll ein ganzes Dorf mit Kirche und Häusern vergraben liegen, und die Ursache dieses Unglücks wird so erzählt: Eine Bäuerin stand vorzeiten an ihrem Herd und hatte einen Kessel mit Anke, welche sie auslassen wollte, über dem Feuer hangen; der Kessel war gerade halb voll Sud. Da kam ein Mann des Weges vorbei und sprach sie an, daß sie ihm etwas von der Anke zu seiner Speise geben möchte. Die Frau war aber hartherzig und sagte: »Ich brauch alles für mich selber und kann nichts davon verschenken.« Da wandte sich der Mann und sprach: »Hättest du mir ein weniges gegeben, so wollt ich deinen Kessel so begabt haben, daß er stets bis zum Rand voll gewesen und nimmer leer geworden wäre.« Dieser Mann war unser Herrgott selber. Das Dorf aber war seit der Zeit verflucht und wurde von einem Bergsturz ganz überschüttet, so daß nichts mehr davon am Licht ist als die Fläche des Kirchenaltars, der ehedem im Ort gestanden; über den fließt nämlich jetzt das Bächlein, das vorher unter ihm hingeflossen und sich nun durch die Schlucht der Felsen windet.[324]

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 324-325.
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