362. Gottes Speise

[337] Nicht weit von Zwickau im Vogtlande hat sich in einem Dorf zugetragen, daß die Eltern ihren Sohn, einen jungen Knaben, in den Wald geschickt, die Ochsen, so allda an der Weide gegangen, heimzutreiben. Als aber der Knabe sich etwas gesäumt, hat ihn die Nacht überfallen, ist auch dieselbe Nacht ein großer, tiefer Schnee herabgekommen, der allenthalben die Berge bedeckt hat, daß der Knabe vor dem Schnee nicht hat können aus dem Wald gelangen. Und als er auch des folgenden Tags nicht heimkommen, sind die Eltern nicht so sehr der Ochsen als des Knaben wegen nicht wenig bekümmert gewesen und haben doch vor dem großen Schnee nicht in den Wald dringen können. Am dritten Tag, nachdem der Schnee zum Teil abgeflossen, sind sie hinausgegangen, den Knaben zu suchen, welchen sie endlich gefunden an einem sonnigten Hügel sitzen, an dem gar kein Schnee gelegen. Der Knab, nachdem er die Eltern gesehen, hat sie angelacht, und als sie ihn gefragt, warum er nicht heimgekommen, hat er geantwortet, er hätte warten wollen, bis es Abend würde; hat nicht gewußt, daß schon ein Tag vergangen war, ist ihm auch kein Leid widerfahren. Da man ihn auch gefragt, ob er etwas gegessen hätte, hat er berichtet, es sei ein Mann zu ihm gekommen, der ihm Käs und Brot gegeben habe. Ist also dieser Knabe ohne Zweifel durch einen Engel Gottes gespeist und erhalten worden.[337]

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 337-338.
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