376. Sage von Gelimer

[349] Zur Zeit, da die Vandalen Afrika besetzt hatten, war in Karthago ein altes Sprichwort unter den Leuten: daß G. das B., hernach aber B. das G. verfolgen würde. Dieses legte man von Genserich aus, der den Bonifatius, und Belisarius, der den Gelimer überwunden hatte. Dieser Gelimer wäre sogleich gefangengenommen worden, wo sich nicht folgender Umstand zugetragen hätte. Belisarius beauftragte damit den Johannes, in dessen Gefolge sich Uliares, ein Waffenträger, befand. Uliares ersah ein Vöglein auf einem Baume sitzen und spannte den Bogen; weil er aber in Wein berauscht und seiner Sinne nicht recht mächtig war, fehlte er den Vogel und traf seinen Herrn in den Nacken. Johannes starb an der Wunde, und Gelimer hatte Zeit zu fliehen. Gelimer entrann und langte noch denselben Tag bei den Maurusiern an. Belisarius folgte ihm nach und schloß ihn ganz hinten in Numidien auf einem kleinen Berge ein. So wurde nun Gelimer mitten im Winter hart belagert und litt an allem Lebensunterhalt Mangel, denn Brot backen die Maurusier nicht, sie haben keinen Wein und kein Öl, sondern essen, unvernünftigen Tieren gleich, unreifes Korn und Gerste. Da schrieb der Vandalenkönig einen Brief an Pharas, Hüter des griechischen Heeres, und bat um drei Dinge: eine Laute, ein Brot und einen Schwamm. Pharas fragte den Boten: »Warum das?«

Der Bote antwortete: »Das Brot will Gelimer essen, weil er keines gesehen, seit er auf dieses Gebirge stieg; mit dem Schwamm will er seine roten Augen waschen, die er die Zeit über nicht gewaschen hat; auf der Laute will er ein Lied spielen und seinen Jammer beweinen.« Pharas aber erbarmte sich des Königs und sandte ihm die Bedürfnisse.[349]

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 349-350.
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