486. Sage von Kaiser Heinrich III.

[457] Kaiser Konrad der Franke ließ ein Gebot ausgehn: Wer den Frieden bräche, dem sollte man das Haupt abschlagen. Dies Gebot brach Graf Leopold von Calw, und da der König zu Land kam, entwich Graf Leopold in den Schwarzwald in eine öde Mühle, meinte sich da zu enthalten mit seiner Hausfrau, bis ihm des Königs Huld wieder würde. Einesmals ritt der König ungefähr in den Wald und vor dieselbe Mühle hin. Und da ihn Leopold hörte, fürchtete er, der König wolle ihn suchen, und floh in das Dickicht. Seine Hausfrau ließ er in der Mühle, die konnte nirgends hin; denn es war um die Zeit, daß sie ein Kind gebären sollte. Als nun der König nah bei der Mühle war und die Frau in ihren Nöten hörte schreien, hieß er nachsehen, was der Frauen gebräche. In den Dingen hörte der König eine Stimme, die sprach: »Auf diese Stunde ist ein Kind hier geboren, das wird dein Tochtermann!« Konrad erschrak, denn er wußte anders nicht, denn daß die Frau eine Bäuerin wäre, und dachte, wie er dem zuvorkommen möchte, daß seine Tochter keinem Bauern zuteil würde. Und schickte zwei seiner Diener in die Mühle, daß sie das neugeborne Kind töteten und zu dessen Sicherheit ihm des Kindes Herz brächten; denn er müsse es haben zu einer Buße. Die Diener mußten dem Kaiser genugtun, fürchteten doch Gott und wollten das Kind nicht töten, denn es war gar ein hübsches Knäbelein, und legten's auf einen Baum, darum, daß etwer des Kindes innewürde.

Dem Kaiser brachten sie eines Hasen Herz, das warf er den Hunden vor und meinte, damit zuvorgekommen zu sein der Stimme der Weissagung.

In den Weilen jagte Herzog Heinrich von Schwaben auf dem Wald und fand das Kind mutterallein daliegen. Und sah, daß es neugeboren war, und brachte es heimlich seiner Frauen, die war unfruchtbar, und bat sie, daß sie sich des Kindes annähme, sich in ein Kindbett legte und das Kind wie ihr natürliches hätte; denn es sei ihnen von Gott geschickt worden. Die Herzogin tat es gern, und also ward das Kind getauft und ward Heinrich[457] geheißen; niemand aber hielt es anders als für einen Herzogen zu Schwaben. Und da das Kind also erwuchs, ward es König Konrad gesandt zu Hof. Der hieß den Knaben öfter vor sich stehen denn die andern Junkern an seinem Hofe, von seiner klugen Weisheit und Höflichkeit wegen. Nun geschah es, daß dem Kaiser eine Verleumdung zu Ohren kam: der junge Herr wäre nicht ein rechter Herzog von Schwaben, sondern ein geraubt Kind. Da der Kaiser das vernahm, rechnete er seinem Alter nach und kam ihm Furcht, es wäre dasjenige, wovon die Stimme bei der Waldmühle geredet hätte. Und wollte wiederum zuvorkommen, daß es nicht seiner Tochter zu einem Mann würde. Da schrieb er einen Brief der Kaiserin, in dem befahl er, als lieb ihr Leib und Leben wäre, daß sie den Zeiger dieses Briefes töten hieße. Den Brief befahl er beschlossen dem jungen Herrn an, daß er ihn der Kaiserin einhändigte und niemand anderm. Der junge Heinrich verstund sich darunter nichts als Gutes, wollte die Botschaft vollenden und kam unterwegs in eines gelehrten Wirtes Haus; dem vertraute er seine Tasche von Sicherheit wegen, worin der Brief und anders Ding lagen. Der Wirt kam über den Brief aus Fürwitz, und da, wo er geschrieben fand, daß die Kaiserin ihn töten sollte, schrieb er, daß die Kaiserin dem jungen Herrn, Zeiger des Briefs, ihre Tochter gäbe und zulegte unverzogenlich; den Brief beschloß er wieder mit dem Insiegel gar säuberlich ohne Fehl. Da nun der junge Herr der Kaiserin den Brief zeigte, gab sie ihm die Tochter und legte sie ihm zu. Die Mären kamen aber bald vor den Kaiser. Da befand der Kaiser mit dem Herzogen von Schwaben und andern Rittern und Knechten, daß der Jüngling war von Leopolds Weib in der Mühle geboren, von dem die Stimme geweissagt hatte, und sprach: »Nun merk ich wohl, daß Gottes Ordnung niemand hintertreiben mag«, und förderte seinen Tochtermann zu dem Reich. Dieser König Heinrich baute und stiftete hernachmals Hirschau, das erste Kloster, an die Statt der Mühle, darin er geboren worden war.[458]

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 457-459.
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