510. Die Maultasch-Schutt

[482] Wie das Schloß Dietrichstein von der Frau Margaret Maultasch (im Jahre 1334) belagert und verwüstet worden, sind hiezwischen viel Herren und Landleut aus Kärnten mit Weib und Kind in eilender Flucht gen Osterwitz kommen, dem edeln und gestrengen Herrn Reinher Schenk zugehörig, von dem sie dann mit großen Ehren sind empfangen worden. An diesem Orte, als von Natur überaus stark und ungewinnlich, hatten sie alle gute Hoffnung, mit den Ihren vor der Tyrannin sicher zu bleiben. Es liegt aber Osterwitz eine Meil Wegs von St. Veit gegen Völkermarkt wärts zur rechten Hand auf einem starken und sehr hohen Felsen, der an keinem Ort mag weder gestürmt noch angelaufen werden. Nun zog aber Frau Maultasch mit ihrem Kriegsvolk stracks auf Osterwitz zu, sonderlich nachdem sie verstanden, daß ein großer Adel allda beisammen wäre, des endlichen Vorhabens, so lange davorzuliegen, bis sie solches in ihre Gewalt bringen und der vorberührten Herren und Frauen würde habhaft sein. Wie solches dem Herrn Reinher Schenk von seinen Kundschaftern angekündet worden, hat er hierauf unverzogenlich seine Kriegsleute, derselben nicht viel über dreihundert gewesen, mit großem Fleiß auf die Wehren der Mauern und allenthalben auf dem hohen Berge geordnet und gar nichts unterlassen, was auf diesmal dazu gedienet. Hiezwischen kam die Frau Maultasch so weit hinaus, daß sie mit den Ihren das Feld weit und breit eingenommen, auch das Schloß in dem Gezirk also umringet, daß schier niemand zu den Belagerten kommen oder aus der Festung weichen konnte. Und weil die Tyrannin gesehen, daß es unmöglich, Osterwitz zu bewältigen, hat sie demnach, in der Zeit der Belagerung, den armen Bauersleuten in den Dörfern mit Brennen, Rauben, Morden und andern Gewalttätigkeiten nicht geringen Schaden zugefügt; wie dessen die zerbrochnen Schlösser und Burgen noch heutigestages genügsame Zeugnis geben. Doch als sie zuletzt gesehen, daß sie Zeit umsonst und vergeblich vertrieben, auch mit aller Gewalt wenig ausrichten würde, hat sie so viel im Rat befunden, ihre[482] Gesandten an Reinher Schenk zu verordnen mit dem Befehl: daß sie ihn mit vielen und reichen Verheißungen dahin bewegen sollten, das Schloß Osterwitz ihr zu übergeben und mit den Seinen frei abzuziehen. Als auf solche Werbung Herr Reinher Schenk abschläglich antwortete und sagen ließ, er müsse ein Kind sein, wenn er darauf horchen und nach ihren Drohungen fragen wollte, also daß die Gesandten mit betrübten Herzen ins Lager zurückkamen: rieten ihr alle, den Ort, da mit Gewalt nichts auszurichten wäre, auszuhungern und mit solchem Mittel den kärntischen Adel zum Brett zu treiben. Welchem getreuen Rat auch Frau Maultasch nachkommen wollte, weil doch keine andere Gelegenheit vorhanden war, ihres Willens habhaft zu werden.

Weil dann nun diese Belagerung ziemlich lange gewähret, entstand hiezwischen in dem Schloß zu Osterwitz nicht allein unter den gemeinen Knechten, sondern auch denen von Adel, sonderlich aber bei dem Frauenzimmer ein großer Mangel in allen Sachen, vornehmlich aber an Wasser, daß auch täglich viel umkamen. Denn es waren von den dreihundert Knechten kaum hundert überblieben, die sich gedrungenerweise mit abscheulicher Speise, als Katzen-, Hund- und Roßfleisch, ersättigen mußten. Indem sich nun etliche vornehme Herren und vom Adel deswegen miteinander beratschlagten, wie den Sachen zu tun wäre, erfanden sie endlich einen trefflich guten und erwünschten Weg. Denn als sie täglich den großen Jammer vermerkten und ihnen gar schmerzlich war, daß sie samt Weib und Kindern in großem Unglück standen und noch zukünftiger Zeit mehrerm Unfall möchten unterworfen sein, gingen sie sämtlich zu Herrn Reinher Schenk und sagten ihm, wie sie diesmal nur durch einen listigen Fund, weil sie keine Hilfe von Erzherzog Otto zu gewarten hätten, zu erretten wären. Nun hätten sie eine gute und geschwinde Kriegslist erdacht, damit den grimmen Feind ab ihrem Hals zu bringen. Nämlich dieweil sie gesehen, daß alle Essensspeisen und des Leibes Notdurft nun bereits verzehrt und nichts mehr in ihrer Gewalt wäre als ein dürrer Stier und zwei Vierling Roggen, so wäre ihr getreuer Rat, Gutdünken und Meinung, man sollte hierauf den Stier abschlachten, in dessen abgezogene Haut den Roggen einschütten[483] und sie also, wohl vermacht, den Berg herabwerfen. Wenn die Feinde dann solches sähen, würde es ihnen Ursache geben zu denken, wir wären mit allerlei Notdurft und Lebensmittel noch reichlich versehen und könnten die Belagerung noch eine gute Zeit ausharren. Derowegen sie unzweifelig würden aufbrechen und mit dem ganzen Kriegsheer abziehen. Diesem Rat kam Herr Reinher Schenk alsbald nach, ließ den Stier abnehmen, den Roggen dareintun und solche damit über den Berg abstürzen, dem jedermann mit großer Verwunderung zugesehen. Als aber solches Frau Maultasch erfahren, tät sie hierauf einen lauten hellen Schrei und sagte: »Ha! Das sind die Klausrappen, so eine gute Zeit ihre Nahrung in die Kluft zusammengetragen und auf den hohen Felsen sich versteckt haben, die wir nicht so leichtlich in unsern Klauen werden fassen können; darum wir sie in ihrem tiefen Nest sitzen und andre gemästete Vögel suchen wollen.« Hat von Stund an darauf ihren Kriegsleuten geboten, daß ein jeder insonderheit seine Sturmhaube voll Erde fassen und solches auf einem ebenen Felde, gleich gegen Osterwitz über, ausschütten sollte. Welches, als es geschehen, ist aus der Erde ein ziemlich groß Berglein worden, das man lange Zeit im Land zu Kärnten die Maultasch-Schutt genannt hat. Noch vor kurzem, im Jahre 1580, hat Herr Georg Kevenhüller, Freiherr zu Aichelberg, als Landeshauptmann von Kärnten der Frau Maultasch Bildnis in schönem weißem Stein ausgehauen lassen, welche Säul das Kreuz bei der Maultasch-Schutt genannt worden.

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 482-484.
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