Das eilfte Kapitel.

[31] Simplex erzählet Speis, Hausrat und Sachen,

Die der Mensch ihme zunutzen kann machen.


Zwei Jahre ungefähr, nämlich bis der Einsiedel gestorben, und etwas länger als ein halbes Jahr nach dessen Tod bin ich in diesem Wald verblieben; derohalben siehet mich vor gut an, dem kuriosen Leser, der auch oft das geringste wissen will, unser Tun, Handel und Wandel, und wie wir unser Leben durchgebracht, zu erzählen.

Unsre Speise war allerhand Gartengewächs, Rüben, Kraut, Bohnen, Erbsen, Linsen, Hirsch und dergleichen; wir verschmäheten auch keine Buchen, wilde Äpfel, Birn, Kirschen, ja die Eicheln machte uns der Hunger oft angenehm. Das Brod oder, besser zu sagen, unsere Kuchen bucken wir in heißer Asche aus zerstoßenem welschen Korn. Im Winter fiengen wir Vögel mit Sprinkeln und Stricken; im Frühling und Sommer aber bescherte uns Gott Junge aus den Nestern. Wir behalfen uns oft mit Schnecken und Fröschen; so war uns auch mit Reußen und Anglen das Fischen nicht zuwider, indem unweit von unserer Wohnung ein fisch- und krebsreicher Bach hinfloß, welches alles unser grob Gemüs hinunter convoyren mußte. Wir hatten auf eine Zeit ein junges wildes Schweinlein aufgefangen, welches wir in einen Pferch versperret, mit Eicheln und Buchen auferzogen, gemästet und endlich verzehret, weil mein Einsiedel wußte, daß solches keine Sünde sein könnte, wann man genießet, was Gott dem ganzen menschlichen Geschlecht zu solchem End erschaffen. Salz brauchten wir wenig und von Gewürz gar nichts; dann wir dörften die Lust zum Trunk nicht erwecken, weil wir keinen Keller hatten. Die Notdurft an Salz gab uns ein Pfarrer, der ungefähr 3 Meil Wegs von uns wohnete, von welchem ich noch viel zu sagen habe.

Unsern Hausrat betreffende, dessen war genug vorhanden: dann wir hatten eine Schaufel, eine Haue, eine Axt, ein Beil und einen eisernen Hafen zum Kochen, welches zwar nicht unser eigen, sondern von obgemeldtem Pfarrer entlehnet war. Jeder hatte ein abgenütztes stumpfes Messer; selbige waren unser Eigentum und sonsten nichts. Ferner bedorften wir auch weder Schüsseln, Teller, Löffel, Gabeln, Kessel, Pfannen, Rost, Bratspieß, Salzbüchs noch ander Tisch- und Küchengeschirr; dann unser Hafen war zugleich unsre Schüssel, und unsre Hände waren auch unsere Gabeln und Löffel. Wollten wir aber trinken, so geschahe es durch ein Rohr aus dem Brunnen, oder wir hiengen[31] das Maul hinein wie Gideons Kriegsleute. Von allerhand Gewand, Wolle, Seiden, Baumwolle und Leinen, beides zu Betten, Tischen und Tapezereien, hatten wir nichts, als was wir auf dem Leib trugen, weil wir vor uns genug zu haben schätzten, wann wir uns vor Regen und Frost beschützen konnten. Sonsten hielten wir in unsrer Haushaltung keine gewisse Regul oder Ordnung, außerhalb an Sonn- und Feiertägen, an welchen wir schon um Mitternacht hinzugehen anfiengen, damit wir noch frühe genug, ohn männigliches Vermerken, in obgemeldten Pfarrherrn Kirche, die etwas vom Dorf abgelegen war, kommen und dem Gottesdienst abwarten können. In derselben verfügten wir uns auf die zerbrochene Orgel, an welchem Ort wir sowohl auf den Altar als zu der Kanzel sehen konnten. Als ich das erstemal den Pfarrherrn auf dieselbige steigen sahe, fragte ich meinen Einsiedel, was er doch in demselben großen Zuber machen wollte? Nach verrichtetem Gottesdienst aber giengen wir ebenso verstohlen wieder heim, als wir hinkommen waren, und nachdem wir mit müdem Leib und Füßen zu unsrer Wohnung kamen, aßen wir mit guten Zähnen übel; alsdann brachte der Einsiedel die übrige Zeit zu mit Beten und mich in gottseligen Dingen zu unterrichten.

An den Werktägen täten wir, was am nötigsten zu tun war, je nachdem sichs fügte und solches die Zeit des Jahrs und unsre Gelegenheit erforderte. Einmal arbeiteten wir im Garten, das andere Mal suchten wir den feisten Grund an schattigen Orten und aus hohlen Bäumen zusammen, unsern Garten anstatt der Tung damit zu bessern. Bald flochten wir Körbe oder Fischreußen, oder machten Brennholz, fischten, oder täten ja so etwas wider den Müßiggang. Und unter allen diesen Geschäften ließ der Einsiedel nicht ab, mich in allem Guten getreulichst zu unterweisen. Unterdessen lernete ich in solchem harten Leben Hunger, Durst, Hitze, Kälte und große Arbeit, ja alles Ungemach überstehen, und zuvorderst auch Gott erkennen, und wie man ihm rechtschaffen dienen sollte, welches das vornehmste war. Zwar wollte mich mein getreuer Einsiedel ein mehrers nicht wissen lassen; dann er hielte darvor, es sei einem Christen genug, zu seinem Ziel und Zweck zu gelangen, wann er nur fleißig bete und arbeite; dahero es kommen, obzwar ich in geistlichen Sachen ziemlich berichtet ward, mein Christentum wohl verstund und die teutsche Sprache so schön redete, als wann sie die Orthographia selbst ausspräche, daß ich dannoch der Einfältigste verblieb, gestalten ich, wie ich den Wald verlassen, ein solcher elender Tropf in die Welt war, daß man keinen Hund mit mir aus dem Ofen hätte locken können.[32]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 31-33.
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