Das zweiunddreißigste Kapitel.

[79] Simplex sieht seine Leut tapfer aussaufen,

Daß auch der Pfarrer muß endlich weglaufen.


Wie dies vorüber, mußte ich wieder aufwarten wie zuvor. Mein Pfarrer war noch vorhanden und wurde sowohl als andere zum Trunk genötiget; er aber wollte nicht recht daran, sondern sagte, er möchte so bestialisch nicht saufen. Hingegen erwiese ihm ein guter Zechbruder, daß er, Pfarrer, wie eine Bestia, er, der Säufer und andere Anwesende aber wie Menschen söffen; »dann«, sagte er, »ein Vieh säuft nur so viel, als ihm wohl schmecket und den Durst löschet, weil sie nicht wissen, was gut ist, noch den Wein trinken mögen; uns Menschen aber beliebt, daß wir uns den Trunk zunutz machen und den edlen Rebensaft einschleichen lassen, wie unsere Voreltern auch getan haben.« – »So wohl!« sagte der Pfarrer, »es gebühret mir aber, rechte Maß zu halten.« – »Wohl,« antwortete jener, »ein ehrlicher Mann hält sein Wort!« und ließ ihm darauf einen mässigen Becher einschenken, denselben dem Pfarrer zuzuzottlen. Er hingegen gieng durch und ließ den Säufer mit seinem Eimer stehen.

Als dieser abgeschafft war, gieng es drunter und drüber und ließe sich ansehen, als wann diese Gasterei eine bestimmte Zeit und Gelegenheit sein sollte, sich gegeneinander mit Vollsaufen zu rächen, einander in Schande zu bringen oder sonst einen Possen zu reißen, dann wann einer expediert ward, daß er weder sitzen, gehen oder stehen mehr konnte, so hieß es: »Nun ist es wett! Du hast mirs hiebevor auch so gekocht; itzt ist dirs eingetränkt«, und so fortan, etc. Welcher aber ausdauren und am besten saufen konnte, wußte sich dessen großzumachen, und dünkte sich kein geringer Kerl zu sein; zuletzt türmelten sie alle herum, als wann sie Bilsensamen genossen hätten. Es war eben ein wunderliches Faßnachtspiel an ihnen zu sehen, und war doch[79] niemand, der sich darüber verwunderte, als ich. Einer sang, der ander weinete; einer lachte, der ander traurete; einer fluchte, der ander betete; einer schrie überlaut: »Courage!« der ander konnte nicht mehr reden; einer war stille und friedlich, der ander wollte den Teufel mit Raufhändeln bannen; einer schlief und schwieg still, der ander plauderte, daß sonst keiner vor ihm zukommen konnte. Einer erzählte seine liebliche Buhlerei, der ander seine erschröckliche Kriegstaten; etliche redeten von der Kirche und geistlichen Sachen, andere von Ratio status, der Politik, Welt- und Reichshändeln; teils liefen hin und wieder als ein Quecksilber und konnten an keiner Stelle bleiben; andere lagen und vermochten nicht, den kleinesten Finger zu regen, geschweige aufrecht zu gehen oder zu stehen; etliche fraßen wie die Drescher, und als ob sie acht Tag Hunger gelitten hätten; andere kotzten wieder, was sie denselbigen ganzen Tag eingeschlucket hatten. Einmal, ihr ganzes Tun und Lassen war dermaßen possierlich, närrisch, seltsam und dabei so sündhaftig und gottlos, daß der mir entwischte üble Geruch, darum ich gleichwohl so greulich zerschlagen worden, nur ein Scherz dargegen zu rechnen. Endlich satzte es unten an der Tafel ernstliche Streithändel; da warf man einander Gläser, Becher, Schüsseln und Teller an die Köpfe und schlug nicht allein mit Fäusten, sondern auch mit Stühlen, Stuhlbeinen, Degen und allerhand Siebensachen drein, daß etlichen der rote Saft über die Ohren lief; aber mein Herr stillete den Handel gleich wiederum.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 79-80.
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