Das zweite Kapitel.

[87] Simplex anzeiget, wann gut sei zu baden,

Daß es dem Menschen werd nimmermehr schaden.


Obzwar ich nun dergestalt aus dem Gänsstall glücklich entkommen, so ward ich jedoch erst meines Unglücks recht gewahr: dann meine Hosen waren voll, und ich wußte nicht, wohin mit der Latwergen. In meines Herrn Quartier war alles still und schlafend; dahero dorfte ich mich zur Schildwacht, die vorm Haus stund, nicht nähern; in der Hauptwache, Corps de Garde, wollte man mich nicht leiden, weil ich viel zu übel stank; auf der Gasse zu bleiben, war mirs gar zu kalt und unmüglich, also daß ich nicht wußte, wo aus noch ein. Es war schon weit von Mitternacht, als mir einfiel, ich sollte meine Zuflucht zu dem vielgemeldten[87] Pfarrer nehmen. Ich folgete meinem Gutbefinden, vor der Tür anzuklopfen; damit war ich so importun, daß mich endlich die Magd mit Unwillen einließ. Als sie aber roche, was ich mitbrachte (dann ihre lange Nase verriet gleich meine Heimlichkeit), ward sie noch schelliger. Derowegen fieng sie an, mit mir zu keifen, welches ihr Herr, so nunmehr fast ausgeschlafen hatte, bald höret. Er rufte uns beiden vor sich ans Bett, gleichsam als ob er auch teil am guten Geruch hätte haben wollen. Sobald er aber merkte, wo der Has im Pfeffer lag und die Nase ein wenig gerümpft hatte, sagte er, es sei niemals, unangesehen was die Kalender schreiben, besser baden, als in solchem Stand, darin ich mich anjetzo befände. Er befahl auch seiner Magd, und zwar gleichsam bittsweise, sie sollte, bis es vollends Tag würde, meine Kosen waschen und vor den Stubenofen hängen, mich selbst aber in ein Bette legen; dann er sahe wohl, daß ich vor Frost ganz erstarrt war. Ich war kaum erwarmt, da es anfieng zu tagen, so stund der Pfarrer schon vorm Bette, zu vernehmen, wie mirs gangen, und wie meine Händel beschaffen wären, weil ich meines nassen Hemdes und der Hosen halber noch nicht aufstehen konnte, zu ihm zu gehen. Ich erzählte ihm alles und machte den Anfang an der Kunst, die mich mein Kamerad gelernet, und wie übel sie geraten. Folgends meldete ich, daß die Gäste, nachdem er, der Pfarrer, hinweg gewesen, ganz unsinnig wären worden, und (maßen mich mein Kamerad also berichtet) ihnen vorgenommen hätten, dem Haus den Boden einzutretten; item, in was vor eine schröckliche Angst ich darüber geraten, und auf was Weise ich mich vorm Untergang konservieren wollen, darüber aber in Gänsstall gesperret worden, auch was ich in demselben von den zweien, so mich wieder erlöset, vor Wort und Werke vernommen und welchergestalt ich sie beide an meine Statt eingesperret. »Simplici!« sagte der Pfarrer, »deine Sachen stehen lausig! du hattest einen guten Handel, aber ich sorge! ich sorge! es sei verscherzt. Packe dich nur geschwind aus dem Bette und trolle dich aus dem Haus, damit ich nicht samt dir in deines Herrn Ungnade komme, wann man dich bei mir findet.« Also mußte ich mit meinem feuchten Gewand hinziehen und zum erstenmal erfahren, wie wohl einer bei männiglich daran ist, wann er seines Herrn Gunst hat, und wie scheel einer hingegen angesehen wird, wann solche hinket oder dieselbe gar verscherzet ist.

Ich gieng in meines Herrn Quartier, darin noch alles steinhart schlief, bis auf den Koch und ein paar Mägd. Diese butzten das Zimmer, darin man gestern gezecht, jener aber rüstete aus den Abschrötlin wieder ein Frühstück oder vielmehr ein[88] Imbiß zu. Am ersten kam ich zu den Mägden; bei denen lag es hin und wieder voller zerbrochener so Trink- als Fenstergläser: an teils Orten war es [voll] von dem, so unten und oben weggangen, und an andern Orten waren große Lachen von verschüttetem Wein und Bier, also daß der Boden einer Landkarten gleichsahe, darin man unterschiedliche Meere, Insulen und truckene oder fußfeste Länder hätte abbilden und vor Augen stellen wollen. Es stank im ganzen Zimmer viel übler als in meinem Gänsstall; derowegen war auch meines Bleibens nicht lang daselbsten, sondern ich machte mich in die Küchen und ließ meine Kleider beim Feur am Leib vollends trücknen, mit Forcht und Zittern erwartend, was das Glück, wann mein Herr ausgeschlafen hätte, ferners in mir würken wollte. Darneben betrachtete ich der Welt Torheit und Unsinnigkeit und zog alles zu Gemüte, was mir verwichenen Tag und selbige Nacht begegnet war, auch was ich sonst gesehen, gehöret und erfahren hatte. Solche Gedanken verursachten, daß ich damals meines Einsiedlers geführtes dörftig und elend Leben vor glückselig schätzte und ihn und mich wieder in vorigen Stand wünschete.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 87-89.
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