Das sechste Kapitel.

[97] Simplex wird plötzlich in Himmel versetzet,

Wird zum Kalb, als er mit Trank sich ergötzet.


Als ich wieder zu mir selber kam, befand ich mich nicht mehr in dem öden Keller bei den Teufeln, sondern in einem schönen Saal, unter den Händen dreier der allergarstigsten alten Weiber, so der Erdboden je getragen. Ich hielt sie anfänglich, als ich die Augen ein wenig öffnete, vor natürliche höllische Geister; hätte ich aber die alte heidnische Poeten schon gelesen gehabt, so hätte ich sie vor die Eumenides, oder wenigst die eine eigentlich vor die Tisiphone gehalten, welche, mich, wie den Athamantem, meiner Sinne zu berauben, aus der Höllen ankommen wäre, weil ich zuvor wohl wußte, daß ich darum da war, zum Narren zu werden. Diese hatte ein Paar Augen wie zween Irrwische und zwischen denselben eine lang-magere Habichsnase, deren Ende oder Spitze die untere Lefzen allerdings erreichte. Nur zween Zähne sahe ich in ihrem Maul, sie waren aber so vollkommen, lang, rund und dick, daß sich jeder beinahe der Gestalt nach mit dem Goldfinger, der Farb nach aber sich mit dem Gold selbst hätte vergleichen lassen. In Summa, es war Gebeins genug vorhanden zu einem ganzen Maul voll Zähne, es war aber gar übel ausgeteilt. Ihr Angesicht sahe wie spanisch Leder, und ihre weiße Haare hiengen ihr seltsam zerstrobelt um den Kopf herum, weil man sie erst aus dem Bette geholet hatte. Ihre lange Brüste weiß ich nichts anders zu vergleichen, als zweien lummerichten Kühblasen, denen zwei Drittel vom Blast entgangen; unten hieng an jeder ein schwarzbrauner Zapf halb Fingers lang. Wahrhaftig ein erschröcklicher Anblick, der zu nichts andern als vor eine treffliche Arznei wider die unsinnige Liebe der geilen Böcke hätte dienen mögen. Die andere zwo waren gar nicht schöner, ohn daß dieselbe stumpfe Affennäslein und ihre Kleider etwas ordentlicher angetan hatten. Als ich mich besser erkoberte, sahe ich, daß die eine unser Schüsselwäscherin, die andre zwo aber zweier Furierschützen Weiber waren. Ich stellete mich, als wann mir alle Glieder abgeschlagen wären und ich mich nicht zu regen vermochte, wie mich dann in Wahrheit auch nicht tanzerte, als diese ehrliche alte Mütterlein mich splitternackend auszogen und von allem Unrat wie ein junges Kind sauberten. Doch tät mir solches trefflich sanft; sie bezeugten unter währender Arbeit eine große Gedult und treffliches Mitleiden, also daß ich ihnen beinahe offenbaret hätte, wie wohl mein Handel noch stünde. Doch gedachte ich: »Nein Simplici! vertraue keinem alten Weib, sondern[97] gedenke, du habst Victori genug, wann du in deiner Jugend drei abgefäumte alte Vetteln, mit denen man den Teufel im weiten Feld fangen möchte, betrügen kannst; du kannst aus dieser Okkasion Hoffnung schöpfen, bei zunehmenden Jahren und künftigem im Alter mehrers zu leisten.« Da sie nun mit mir fertig waren, legten sie mich in ein köstlich Bette, darin ich ungewiegt entschlief; sie aber giengen und nahmen ihre Kübel und andere Sachen, damit sie mich gewaschen hatten, samt meinen Kleidern und allen Unflat mit sich hinweg. Meines Davorhaltens schliefe ich diesen Satz länger als 24 Stunden; und da ich wiedererwachte, stunden zween schöne geflügelte Knaben vorm Bette, welche mit weißen Hemdern, taffeten Binden, Perlen, Kleinodien, göldenen Ketten und andern scheinbarlichen Sachen köstlich gezieret waren. Einer hatte ein vergüldtes Lavor voller Hippen, Zuckerbrot, Marzeban und ander Konfekt, der ander aber einen verguldten Becher in Händen. Diese als Engel, davor sie sich ausgaben, wollten mich bereden, daß ich nunmehr im Himmel sei, weil ich das Fegfeur so glücklich überstanden und dem Teufel samt seiner Mutter entgangen; derohalber sollte ich nur begehren, was mein Herz wünsche, sintemal alles, was mir nur beliebe, genug vorhanden wäre oder doch sonst herbeizuschaffen in ihrer Macht stünde. Mich quälete der Durst, und weil ich den Becher vor mir sahe, verlangte ich nur den Trunk, der mir auch mehr als gutwillig gereichet ward. Solches war aber kein Wein, sondern ein lieblicher Schlaftrunk, welchen ich unabgesetzt zu mir nahm und davon wieder entschlief, sobald er bei mir war erwärmet.

Den andern Tag erwachte ich wiederum (dann sonst schlief ich noch), befand mich aber nicht mehr im Bette, noch in vorigem Saal oder bei meinen Engeln, viel weniger im Himmelreich selbsten, sondern in meinem alten Gänskerker. Da war abermal eine greuliche Finsternus wie in vorigem Keller; und überdas hatte ich ein Kleid an von Kalbfellen, daran das rauhe Teil auch auswendig gekehrt war; die Hosen waren auf polnisch oder schwäbisch und das Wams noch wohl auf eine närrischere Manier gemacht. Oben am Hals stund eine Kappe wie ein Mönchsgugel; die war mir über den Kopf gestreift und mit einem schönen Paar großer Eselsohren gezieret. Ich mußte meines Unsterns selbst lachen, weil ich beides, am Nest und den Federn, sahe, was ich vor ein Vogel sein sollte. Damals fieng ich erst an, in mich selbst zu gehen und auf mein Bestes zu gedenken, und gleichwie ich Ursach genug hatte, Gott zu danken, daß er mir meinen Verstand gesund erhalten, also war ich auch bedürftig, denselben inbrünstig zu bitten, daß er mich ferner behüten, regieren, leiten[98] und führen wollte. Ich satzte mir vor, mich auf das närrischte zu stellen, als mir immer müglich sein möchte, und darneben mit Geduld zu erharren, wie sich mein Verhängnus weiters anlassen würde.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 97-99.
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