Das achtzehnte Kapitel.

[234] Simplex, der Jäger, zu buhlen fängt an,

Ihm sein die Jungfrauen gar sehr zugetan.


Mein Vorsatz, die Büchsenmeisterei und Fechtkunst in diesen sechs Monaten vollkommen zu lernen, war gut, und ich begriffs auch. Aber es war nit genug, mich vorm Müßiggang, der ein Ursprung vielen Übels ist, allerdings zu behüten, vornehmlich weil niemand war, der mir zu gebieten hatte. Ich saß zwar emsig über allerhand Büchern, aus denen ich viel Gutes lernete, es[234] kamen mir aber auch teils unter die Hände, die mir wie dem Hund das Gras gesegnet wurden. Die unvergleichliche Arcadia, aus deren ich die Wohlredenheit lernen wollte, war das erste Stück, das mich von den rechten Historien zu den Liebebüchern und von den wahrhaften Geschichten zu den Heldengedichten zog. Solcherlei Gattungen brachte ich zuwege, wo ich konnte, und wann mir eins zuteil ward, hörete ich nicht auf, bis ichs durchgelesen, und sollte ich Tag und Nacht darüber gesessen sein. Diese lerneten mich vor das Wohlreden mit der Leimstange laufen. Doch ward dieser Mangel damals bei mir nicht so heftig und stark, daß man ihn mit Seneca ein göttliches Rasen oder, wie es in Thomä Thomai Weltgärtlein beschrieben wird, eine beschwerliche Krankheit hätte nennen können; dann wo meine Liebe hinfiel, da erhielt ich leichtlich und ohne sonderbare Mühe, was ich begehrete, also daß ich keine Ursache zu klagen bekam wie andere Buhler und Leimstängler, die voller phantastischer Gedanken, Mühe, Begierden, heimlich Leiden, Zorn, Eifer, Rachgier, Rasen, Weinen, Protzen, Drohen und dergleichen tausendfältigen Torheiten stecken und ihnen vor Ungedult den Tod wünschen. Ich hatte Geld und ließ mich dasselbe nicht dauren, und überdas eine gute Stimme, übte mich stetig auf allerhand Instrumenten. Anstatt des Tanzens, dem ich nie bin hold worden, weil ich mich nicht recht darein [zu] schicken wußte, auch es ohnedas vor eine unsinnige Torheit hielte, wiese ich die Gerade meines Leibes, wann ich mit meinem Kürschner fochte. Überdas hatte ich einen trefflichen glatten Spiegel und gewöhnte mich zu einer freundlichen Lieblichkeit, also daß mir das Frauenzimmer, wannschon ich mich dessen nicht sonderlich annahm, (wie Aurora dem Clito, Cephalo und Tithoni, Venus dem Anchise, Atidi und Adoni, Ceres dem Glauco, Ulysse und Jasioni, und die keusche Diana selbst ihrem Endimione) von sich selbst nachlief, mehr als ich dessen begehrete.

Um dieselbige Zeit fiel Martini ein; da fängt bei uns Teutschen das Fressen und Saufen an und währet bei teils bis in die Faßnacht. Da ward ich an unterschiedliche Örter, sowohl bei Offizierern als Bürgern, die Martinsgans verzehren zu helfen, eingeladen. Da setzte es dann zuzeiten so etwas, weil ich bei solchen Gelegenheiten mit dem Frauenzimmer in Kundschaft kam. Meine Laute und Gesang, die zwangen eine jede, mich anzuschauen, und wann sie mich also betrachteten, wußte ich zu meinen neuen Buhlenliedern, die ich selber machte, so anmutige Blicke und Gebärden hervorzubringen, daß sich manches hübsches Mägdlein darüber vernarrte und mir unversehens hold[235] ward. Und damit ich nicht vor einen Hungerleider gehalten würde, stellete ich auch zwo Gastereien, die eine zwar vor die Offizierer und die andere vor die vornehmste Bürger, an, dadurch ich mir bei beiden Teilen Gunst und einen Zutritt vermittelte, weil ich kostbar auftragen und trefflich traktieren ließ. Es war mir aber alles nur um die liebe Jungfern zu tun; und obgleich ich bei einer oder der andern nicht fand, was ich suchte (dann es gab auch noch etliche, die es verhalten konnten) so gieng ich doch einen Weg als den andern zu ihnen, damit sie diejenige, die mir mehr Gunst erzeigeten, als ehrlichen Jungfern gebühret, in keinen bösen Verdacht bringen, sondern glauben sollten, daß ich mich bei denselbigen auch nur Diskurs halber aufhielte. Und das überredete ich eine jede insonderheit, daß sie es von den andern glaubte und nicht anders meinete, als wäre sie allein diejenige, die sich meiner erfreuete.

Ich hatte gerad sechs, die mich liebten und ich sie hinwiederum, doch hatte keine mein Herz gar oder mich allein; an der einen gefielen mir nur die schwarze Augen, an der andern die goldgelbe Haare, an der dritten die liebliche Holdseligkeit und an den übrigen auch so etwas, das die andere nicht hatte. Wann ich aber ohn diese andere besuchte, so geschahe es nur entweder aus obgesagter Ursache, oder weilen es fremd und neu war und ich ohndas nichts ausschlug oder verachtete, indem ich nicht immer an demselben Ort zu bleiben gedachte. Mein Jung, der ein Erzschelm war, hatte genug zu tun mit Kuppeln und Buhlenbrieflein hin und wieder zu tragen und wußte reinen Mund und meine lose Händel gegen einer und der andern so geheimzuhalten, daß nichts drüber war; davon bekam er von den Schleppsäcken ein Haufen Favor, so mich aber am meisten kosteten, maßen ich hierdurch ein Ansehnliches verschwendete und wohl sagen konnte: »Was mit Trommeln gewonnen wird, gehet mit Pfeifen wieder dahin.« Dabei hielt ich meine Sachen so geheim, daß mich der hunderte vor keinen Buhler halten konnte, ohn der Pfarrer, bei welchem ich nicht mehr so viel geistliche Bücher entlehnete als zuvor.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 234-236.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch: Roman
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch