Das zwanzigste Kapitel.

[239] Simplex dem Pfarrer viel Händel fürmacht,

Und ihms darbei in die Faust hineinlacht.


Ich war in den Wollüsten doch nicht so gar ersoffen oder so dumm, daß ich nicht gedacht hätte, jedermanns Freundschaft zu behalten, solang ich noch in derselbigen Festung zu verbleiben (nämlich bis der Winter vorüber) willens war. So erkannte ich auch wohl, was es einem vor Unrat bringen könnte, wann er der Geistlichen Haß hätte, als welche Leute bei allen Völkern, sie sein gleich was Religion sie wollen, einen großen Kredit haben; derowegen nahm ich meinen Kopf zwischen die Ohren und trat gleich den andern Tag wieder auf frischem Fuß zu obgedachtem Pfarrer und log ihm mit gelehrten Worten einen solchen zierlichen Haufen daher, wasgestalten ich mich resolviert hätte, ihm zu folgen, daß er sich, wie ich aus seinen Gebärden sehen konnte, herzlich darüber erfreuete. »Ja,« sagte ich, »es hat mir seithero, auch schon in Soest, nichts anders als ein solcher engelischer Ratgeber gemangelt, wie ich einen an meinem hochgeehrten Herrn angetroffen habe. Wann nur der Winter bald vorüber oder sonst das Wetter bequem wäre, daß ich fortreisen könnte!« Bat ihn darneben, er wollte mir doch ferner mit gutem Rat beförderlich sein, auf welche Academiam ich mich begeben sollten. Er antwortete, was ihn anbelange, so hätte er zu Leyden studieret, mir aber wollte er nach Genf geraten haben, weil ich der Aussprache nach ein Hochteutscher wäre. »Jesus Maria!« antwortete ich, »Genf ist weiter von meiner Heimat als Leyden.« – »Was vernehme ich?« sagte er hierauf mit großer Bestürzung, »ich höre wohl, der Herr ist ein Papist! O mein Gott, wie finde ich mich betrogen!« – »Wie so, wie so, Herr Pfarrer?« sagte ich, »muß ich darum ein Papist sein, weil ich nicht nach Genf will?« – »O nein,« sagte er, »sondern daran höre ichs, weil Ihr die Mariam anrufet.« Ich sagte: »Sollte dann einem Christen nicht gebühren, die Mutter seines Erlösers zu nennen?«[239] – »Das wohl,« antwortete er, »aber ich ermahne und bitte Ihn, so hoch als ich kann, Er wolle Gott die Ehre geben und mir gestehen, welcher Religion Er beigetan sei. Dann ich zweifle sehr, daß Er dem Evangelio glaube (obzwar ich ihn alle Sonntage in meiner Kirche gesehen), weil Er das verwichene Fest der Geburt Christi weder bei uns noch den Lutherischen zum Tisch des Herrn gangen!« Ich antwortete: »Der Herr Pfarrer höret ja wohl, daß ich ein Christ bin, und wann ich keiner wäre, so würde ich mich nicht so oft in der Predigt eingefunden und dem Gottesdienst beigewohnt haben; im übrigen aber gestehe ich, daß ich weder Petrisch noch Paulisch bin, sondern allein simpliciter glaube, was die zwölf Artikul des allgemeinen Hl. christlichen Glaubens in sich halten, werde mich auch zu keinem Teil vollkommen verpflichten, bis mich ein oder ander durch genugsame Erweisungen persuadieret zu glauben, daß er vor den andern die rechte, wahre und alleinseligmachende Religion habe.« – »Jetzt«, sagte er, »glaube ich erst recht, daß Er ein kühnes Soldatenherz habe, sein Leben wacker dran zu wagen, weil Er gleichsam ohn Religion und Gottesdienst auf den alten Kaiser hinein dahinleben und so frevelhaftig seine Seligkeit in die Schanze schlagen darf! Mein Gott! wie kann aber ein sterblicher Mensch, der entweder verdammt oder selig werden muß, immermehr so keck sein? Ist der Herr in Hanau erzogen und nicht anders im Christentum unterrichtet worden? Er sage mir doch, warum Er seiner Eltern Fußstapfen in der reinen christlichen Religion nicht nachfolget. Oder warum Er sich ebensowenig zu dieser als zu einer andern begeben will, deren Fundamenta sowohl in der Natur als Hl. Schrift doch so sonnenklar am Tag liegen, daß sie auch in Ewigkeit weder Papist noch Lutheraner nimmermehr wird umstoßen können?« Ich antwortete: »Herr Pfarrer! das sagen auch alle andere von ihrer Religion; welchen soll ich aber Glauben zustellen? Vermeinet der Herr wohl, es sei so ein Geringes, wann ich einem Teil, den die andern zwei lästern und einer falschen Lehre bezüchtigen, meiner Seelen Seligkeit vertraute? Er sehe doch (aber mit meinen unparteischen Augen), was Konrad Vetter und Johannes Nas wider Lutherum und hingegen Luther und die Seinige wider den Papst, sonderlich aber Spangenberg wider Franziskum, der etliche hundert Jahre vor einen heiligen und gottseligen Mann gehalten worden, in offenen Druck ausgehen lassen. Zu welchem Teil soll ich mich dann tun, wann je eins das ander ausschreiet, es sei kein gut Haar an ihm? Vermeinet der Herr Pfarrer, ich tue unrecht, wann ich einhalte, bis ich[240] meinen Verstand völliger bekomme und weiß, was schwarz oder weiß ist? Sollte mir wohl jemand raten, hineinzuplumpen wie die Fliege in einen heißen Brei? O nein! das wird der Herr Pfarrer verhoffentlich mit gutem Gewissen nicht tun können. Es muß unumgänglich eine Religion recht haben und die andern beide unrecht; sollte ich mich nun zu einer ohn reiflichen Vorbedacht bekennen, so könnte ich ebensobald eine unrechte als die rechte erwischen, so mich hernach in Ewigkeit reuen würde. Ich will lieber gar von der Straße bleiben als nur irrlaufen; zudem seind noch mehr Religionen dann nur die in Europa, als die Armenier, Abyssiner, Griechen, Georgianer und dergleichen, und Gott geb, was ich vor eine davon annehme, so muß ich mit meinen Religionsgenossen den andern allen widersprechen. Wird nun der Herr Pfarrer mein Ananias sein, so will ich ihm mit großer Dankbarkeit folgen und die Religion annehmen, die er selbst bekennet.«

Darauf sagte er: »Der Herr steckt in großem Irrtum und herannahenden höchst schädlichem Seelenverderben; aber ich hoffe zu Gott, er werde ihn erleuchten und aus dem Schlamm helfen; zu welchem Ende ich ihm dann unsere Konfession inskünftige dergestalt aus hl. Schrift bewähren will, daß sie auch wider die Pforten der Hölle bestehen solle.« Ich antwortete, dessen würde ich mit großem Verlangen gewärtig sein, gedachte aber bei mir selber: »Wann du mir nur nichts mehr von meinen Liebchern vorhältest, so bin ich mit deinem Glauben wohl zufrieden!« Hierbei kann der Leser abnehmen, was ich damals vor ein gottloser böser Bub gewesen; dann ich machte dem guten Pfarrer deswegen vergebliche Mühe, damit er mich in meinem ruchlosen Leben ungehindert ließe, und gedachte: »Bis du mit deinen Beweistümen fertig bist, so bin ich vielleicht, wo der Pfeffer wächset.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 239-241.
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