Das sechste Kapitel.

[25] Simplex sich heimlich aus Frankreich begibt,

Kriegt die Kindsblattern, wird höchlich betrübt.


Durch diese meine Hantierung brachte ich beides, an Geld und andern Sachen, so viel Verehrungen zusammen, daß mir angst dabei ward, und verwunderte ich mich nicht mehr, daß sich die Weibsbilder ins Bordell begeben und ein Handwerk aus dieser viehischen Unfläterei machen, weil es so trefflich wohl einträget. Aber ich fieng an und gieng in mich selber, nicht zwar aus Gottseligkeit oder Trieb meines Gewissens, sondern aus Sorge, daß ich einmal auf so einer Kürbe ertappt und nach Verdienst bezahlt werden möchte. Derhalben trachtete ich, wieder in Teutschland zu kommen, und das um so viel desto mehr, weil der Kommandant zur L. mir geschrieben, daß er etliche Kölnische Kaufleute bei den Köpfen gekriegt, die er nicht aus Händen lassen wollte, es sein ihm dann meine Sachen zuvor eingehändigt; item daß er mir das versprochene Fähnlein noch aufhalte und meiner noch vor dem Frühling gewärtig sein wollte, dann sonst, wo ich in der Zeit nit käme, müßte er die Stelle mit einem andern besetzen. So schickte mir mein Weib auch ein Brieflein dabei, das voll liebreicher Bezeugungen ihres großen Verlangens war. Hätte sie aber gewußt, wie ich so ehrbar gelebet, so sollte sie mir wohl einen andern Gruß hineingesetzt haben.

Ich konnte mir wohl einbilden, daß ich mit Monsign. Canard Konsens schwerlich hinwegkäme, gedachte derhalben, heimlich durchzugehen, sobald ich Gelegenheit haben könnte, so mir zu meinem großen Unglück auch angieng. Dann als ich einsmals etliche Offizierer von der weimarischen Armee antraf, gab ich mich ihnen zu erkennen, daß ich nämlich ein Fähnrich von des Obristen de S.A. Regiment und in meinen eigenen Geschäften eine Zeitlang in Paris gewesen, nunmehr aber entschlossen sei, mich wieder zum Regiment zu begeben, mit Bitte, sie wollten mich in ihre Gesellschaft zu einem Reisgefährten mitnehmen. Also eröffneten sie mir den Tag ihres Aufbruchs und nahmen mich willig auf; ich kaufte mir einen Klepper und mondierte mich auf die Reise so heimlich als ich konnte, packte mein Geld zusammen (so ungefähr bei 500 Duplonen waren, die ich alle den gottlosen Weibsbildern durch schändliche Arbeit abverdienet hatte), und machte mich ohn von Mons. Canard gegebne Erlaubnüs mit ihnen fort, schrieb ihm aber zurück und datierte das Schreiben zu Maastrich, damit er[25] meinen sollte, ich wäre auf Köln gangen. Darin nahm ich meinen Abschied mit Vermelden, daß mir unmüglich gewesen, länger zu bleiben, weil ich seine aromatische Würste nicht mehr hätte verdauen können.

Im zweiten Nachtläger von Paris aus ward mir natürlich wie einem, der den Rotlauf bekommt, und mein Kopf tät mir so grausam weh, daß mir unmüglich war aufzustehen. Es war in einem gar schlechten Dorf, darin ich keinen Medicum haben konnte, und was das Ärgste war, so hatte ich auch niemand, der mir wartete und mir beisprange, dann die Offizierer reisten des Morgens früh ihres Wegs fort gegen dem Elsaß zu und ließen mich als einen, der sie nichts angienge, gleichsam totkrank daliegen. Doch befahlen sie bei ihrem Abschied dem Wirt mich und mein Pferd, und hinterließen bei dem Schulzen im Dorf, daß er mich als einen Kriegsoffizier, der dem König diene, beobachten sollte.

Also lag ich ein paar Tage dort, daß ich nichts von mir selber wußte, sondern wie ein Hirnschelliger fabelte. Man brachte den Pfaffen; derselbe konnte aber nichts Verständiges von mir vernehmen. Und weil er sahe, daß er mir die Seele nicht arzneien konnte, gedachte er auf Mittel, dem Leib nach Vermögen zu Hülf zu kommen, allermaßen er mir eine Ader öffnen, einen Schweißtrank eingeben und in ein warmes Bette legen lassen, zu schwitzen. Das bekam mir so wohl, daß ich mich in derselben Nacht wieder besann, wo ich war, und wie ich dahin kommen und krank wor den wäre. Am folgenden Morgen kam obgemeldter Pfaff wieder zu mir und fand mich ganz desperat, dieweil mir nicht allein all mein Geld entführt war, sondern auch nicht anders meinete, als hätte ich (s.v.) die liebe Franzosen, weil sie mir billiger als so viel Pistolen gebühreten und ich auch über dem ganzen Leib so voller Flecken war als ein Tiger. Ich konnte weder gehen, stehen, sitzen noch liegen: da war keine Gedult bei mir, dann gleichwie ich nicht glauben konnte, daß mir Gott das verlorne Geld bescheret hätte, also war ich jetzt so ungehalten, daß ich sagte, der Teufel hätte mirs wieder weggeführet. Ich schwur, daß der Himmel hätte erschwarzen mögen, ja ich stellete mich nicht anders, als ob ich ganz hätte verzweifeln wollen, daß also der gute Pfarrer genug an mir zu trösten hatte, weil mir der Schuh an zwei Orten so heftig druckte. »Mein Freund!« sagte er, »stellet Euch doch als ein vernünftiger Mensch, wann Ihr Euch ja nicht in Euerm Kreuz anlassen könnet wie ein frommer Christ! Was machet Ihr? wollet Ihr zu Euerm Geld[26] auch das Leben, und was mehr ist, auch die Seligkeit verlieren?« Ich antwortete: »Nach dem Geld frage ich nichts, wann ich nur diese abscheuliche verfluchte Krankheit nicht am Hals hätte, oder wäre nur an Ort und Enden, da ich wieder kuriert werden könnte!« – »Ihr müßt Euch gedulden!« antwortete der Geistliche; »wie müssen die arme kleine Kinder tun, deren in hiesigem Dorf über 50 daran krank liegen?« Wie ich hörete, daß auch Kinder damit behaftet, war ich alsbald herzhafter; dann ich konnte ja leicht gedenken, daß selbige diese garstige Seuch nicht kriegen würden; nahm derowegen mein Felleisen zur Hand und suchte, was es etwan noch vermöchte; aber da war ohn das weiße Gezeug nichts Schätzbares in, als eine Kapsel mit einer Damen Conterfait, rund herum mit Rubinen besetzt, so mir eine zu Paris verehret hatte. Ich nahm das Conterfait heraus und stellete das übrige dem Geistlichen zu, mit Bitte, solches in der nächsten Stadt zu versilbern, damit ich etwas zu verzehren haben möchte. Dies gieng dahin, daß ich kaum den dritten Teil seines Werts davor kriegte; und weil es nicht lang daurte, mußte auch mein Klepper fort. Damit reichte ich kärglich hinaus, bis die Purpeln anfiengen zu dörren und mir wieder besser ward.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 25-27.
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