Das dreizehnte Kapitel.

[45] Simplex mit vielen weitläufigen Worten

Handelt von der Merodebrüder Orden.


Unterwegs redete Herzbruder mit mir ab, daß ich mich vor seinen Vetter ausgeben sollte, damit ich desto mehr geehret würde; hingegen wollte er mir noch ein Pferd samt einem Knecht verschaffen und mich zum Neuneckischen Regiment tun, bei dem ich mich als ein Freireuter aufhalten könnte, bis eine Offizierstelle bei der Armee ledig würde, zu deren er mir helfen könnte.

Also ward ich wider alle meine Hoffnung in Eil wieder ein Kerl, der einem braven Soldaten gleichsahe; ich tät aber denselben Sommer wenig Taten, als daß ich am Schwarzwald hin und wieder etliche Kühe stehlen half und mir das Brisgau und Elsaß ziemlich bekannt machte. Im übrigen hatte ich abermal wenig Stern; dann nachdem mir mein Knecht samt dem Pferd bei Kenzingen von den Weimarischen gefangen ward, mußte ich das ander desto härter strapeziern und endlich gar hinreuten, daß ich mich also in den Orden der Merodebrüder begeben mußte. Mein Herzbruder hätte mich zwar gern wieder mondieret; weil ich aber so bald mit den ersten zweien Pferden fertig worden, hielt er zurück und gedachte, mich zappeln zu lassen, bis ich mich besser vorzusehen lernete. So begehrte ich solches auch nicht; dann ich fand an meinen Mitkonsorten eine so angenehme Gesellschaft, daß ich mir bis an die Winterquartier keinen bessern Handel wünschte.

Ich muß nur ein wenig erzählen, was die Merodebrüder vor Leute sind, weilen sich ohn Zweifel etliche finden, sonderlich die Kriegsunerfahrne, so nichts davon wissen. So habe ich bisher noch keinen Skribenten angetroffen, der etwas von ihren Gebräuchen, Gewohnheiten, Rechten und Privilegien seinen Schriften einverleibt hätte, unangesehen es wohl wert ist, daß nicht allein die jetzige Feldherrn, sondern auch der Baursmann wisse, was es vor eine Zunft sei. Betreffend nun erstlich ihren Namen, will ich nicht hoffen, daß es demjenigen tapfern Kavalier, unter dem sie solchen bekommen, ein Schimpf sei, sonst wollte ichs nicht einem jeden so offentlich auf die Nase[45] binden. Ich habe eine Art Schuhe gesehen, die hatten anstatt der Löcher krumme Nähte; dieselbigen wurden Mansfelder Schuh genannt, weil dessen Kriegsknecht selbige erfunden, damit sie desto besser durch den Kot stampfen sollten. Sollte nun einer deswegen den Mansfelder selbst vor einen Pechfarzer schelten, den wollte ich vor einen Phantasten halten. Ebenso muß man diesen Namen auch verstehen, der nicht abgehen wird, solang die Teutsche kriegen. Es hat aber eine solche Beschaffenheit damit. Als dieser Kavalier einsmals ein neugeworben Regiment zur Armee brachte, waren die Kerl so schwacher, baufälliger Natur wie die französische Britannier, daß sie also das Marschieren und ander Ungemach, das ein Soldat im Feld ausstehen muß, nicht erleiden konnten, derowegen dann ihre Brigade zeitlich so schwach ward, daß sie kaum die Fähnlein mehr bedecken konnte; und wo man einen oder mehr kranke und lahme Leinenweber auf dem Markt, in Häusern und hinter den Zäunen und Hecken antraf und fragte: »Wes Regiments?« so war gemeiniglich die Antwort: »Von Merode!« Davon entsprang, daß man endlich alle diejenige, sie wären gleich krank oder gesund, verwundt oder nit, wann sie nur außerhalb der Zugordnung daherzottelten oder sonst nicht bei ihren Regimentern ihr Quartier im Feld nahmen, Merodebrüder nannte, welche Bursch man zuvor Säusenger und Immenschneider geheißen hatte. Dann sie sind wie die Brumser in den Immenfässern, welche, wann sie ihren Stachel verloren haben, nicht mehr arbeiten, noch Honig machen, sondern nur fressen können. Wann ein Reuter sein Pferd und ein Musketier seine Gesundheit verleurt oder ihm Weib und Kind erkrankt und zurückbleiben will, so ists schon anderthalb Paar Merodebrüder, ein Gesindlein, so sich mit nichts besser als mit den Zügeinern vergleichet, weil es nicht allein nach seinem Belieben vor, nach, neben und mitten unter der Armee herumstreicht, sondern auch demselben beides, an Sitten und Gewohnheit, ähnlich ist. Da siehet man sie haufenweis beieinander (wie die Feldhühner im Winter) hinter den Hecken, im Schatten oder nach ihrer Gelegenheit an der Sonne oder irgends um ein Feur herum liegen, Tabak zu saufen und zu faulenzen, wann unterdessen anderwärts ein rechtschaffener Soldat beim Fähnlein Hitze, Durst, Hunger, Frost und allerhand Elend überstehet. Dort gehet eine Schar neben dem Marsch her auf die Mauserei, wann indessen manch armer Soldat vor Mattigkeit unter seinen Waffen versinken und verschmachten möchte. Sie spolieren vor, neben und hinter der Armee alles, was sie antreffen; und was sie nicht genießen können, verderben sie, also[46] daß die Regimenter, wann sie in die Quartier oder ins Läger kommen, oft nicht einen guten Trunk Wasser finden; und wann sie alles Ernstes angehalten werden, bei der Bagage zu bleiben, so wird man oft beinahe dieselbe stärker finden, als die Armee selbst ist. Wann sie aber gesellenweis marschieren, quartieren, kampieren und hausieren, so haben sie keinen Wachtmeister, der sie kommandiert, keinen Feldwaibel oder Schergianten, der ihnen das Wams ausklopft oder vielmehr ausstäubt, keinen Korporal, der sie wachen heißt, keinen Tambour, der sie des Zapfenstreichs, der Schar- und Tagwacht erinnert, und in Summa niemand, der sie anstatt des Adjutanten in Battaglia stellet oder anstatt des Furiers einlogieret, sondern leben vielmehr wie die Freiherrn. Wann aber etwas an Kommiß der Soldateska zukommt, so sind sie die erste, die ihr Teil holen, obgleich sie es nicht verdienet. Hingegen sind die Rumormeister und Generalgewaltiger ihr allergrößte Pest, als welche ihnen zuzeiten, wann sie es zu bunt machen, eiserne Silbergeschirr an Hände und Füße legen oder sie wohl gar mit einem hänfinen Kragen zieren und an ihre allerbeste Hälse anhängen lassen.

Sie wachen nicht, sie schanzen nicht, sie stürmen nicht und kommen auch in keine Schlachtordnung, und sie ernähren sich doch! Was aber der Feldherr, der Landmann und die Armada selbst, bei deren sich viel solches Gesindes befindet, vor Schaden darvon haben, ist nicht zu beschreiben. Der heilloseste Reuterjung, der nichts tut als furagieren, ist dem Feldherrn nützer als tausend Merodebrüder, die ein Handwerk draus machen und ohn Not auf der Bärnhaut liegen. Sie werden vom Gegenteil hinweggefangen und von den Bauren an teils Orten auf die Finger geklopft. Dadurch wird die Armee gemindert und der Feind gestärkt; und wanngleich ein so liederlicher Schlingel (ich meine nicht die arme Kranke, sondern die unberittene Reuter, die unachtsamerweise ihre Pferde verderben lassen und sich auf Merode begeben, damit sie ihre Haut schonen und ihrer Faulheit auf der Bärnhaut pflegen können) durch den Sommer davonkommt, so hat man nichts anders von ihm, als daß man ihn auf den Winter mit großem Kosten wieder mondieren muß, damit er künftigen Feldzug wieder etwas zu verlieren habe. Man sollte sie zusammenkuppeln wie die Windhunde und sie in den Garnisonen kriegen lernen oder gar auf die Galeeren schmieden, wann sie nicht auch zu Fuß im Feld in ihres Herrn Dienst das ihrige tun wollten, bis sie gleichwohl wieder Pferde kriegten. Ich geschweige hier, wie manches Dorf durch sie sowohl unachtsamer- als vorsätzlicherweise verbrennt wird, wie manchen Kerl[47] sie von ihrer eigenen Armee absetzen, plündern, heimlich bestehlen und wohl gar niedermachen, auch wie mancher Spion sich unter ihnen aufhalten kann, wann er nämlich nur ein Regiment und Kompagnie aus der Armada zu nennen weiß. Ein solcher ehrbarer Bruder nun war ich damals auch und verbliebs bis den Tag vor der Wittenweier Schlacht, zu welcher Zeit das Hauptquartier in Schuttern war; dann als ich damals mit meinen Kameraden in das Geroldseckische gieng, Kühe oder Ochsen zu stehlen, wie unsre Gewohnheit war, ward ich von den Weimarischen gefangen, die uns viel besser zu traktieren wußten; dann sie luden uns Musketen auf und stießen uns hin un wieder unter die Regimenter. Ich zwar kam unter das Hattsteinische.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 45-48.
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