Das dreiundzwanzigste Kapitel.

[71] Simplex Oliviers Grausamkeit siehet,

Von ihm zu kommen sich ernstlich bemühet.


Ich hätte über dieser des Oliviers Erzählung gern gelacht und mußte mich doch mitleidentlich erzeigen. Und als ich eben[71] auch anfieng, meines Lebens Lauf zu erzählen, sahen wir eine Kutsche samt zweien Reutern das Land heraufkommen; derohalben stiegen wir vom Kirchturn und satzten uns in ein Haus, das an der Straße lag und sehr bequem war, die Vorüberreisende anzugreifen. Mein Rohr mußte ich zum Vorrat geladen behalten; Olivier aber legte mit seinem Schuß gleich den einen Reuter und das Pferd, eh sie unsrer inwurden, weswegen dann der ander gleich durchgieng; und indem ich mit überzognem Hahn den Kutscher halten und absteigen gemachet, sprang Olivier auf ihn dar und spaltete ihm mit seinem breiten Schwert den Kopf voneinander bis auf die Zähne hinunter, wollte auch gleich darauf das Frauenzimmer und die Kinder metzgen, die in der Kutschen saßen und bereits mehr den toten Leichen als den Lebenden gleichsahen. Ich aber wollte es rund nicht gestatten, sondern sagte, wofern er solches ja ins Werk setzen wollte, müßte er mich zuvor erwürgen. »Ach!« sagte er, »du närrischer Simplici, ich hätte mein Tage nicht gemeint, daß du so ein heilloser Kerl wärest, wie du dich anläßt.« Ich antwortete: »Bruder, was willst du die unschuldige Kinder zeihen? Wann es Kerl wären, die sich wehren könnten, so wäre es ein anders.« – »Was?« antwortete er, »Eier in die Pfannen, so werden keine Junge draus. Ich kenne diese junge Blutsauger wohl; ihr Vatter, der Major, ist ein rechter Schindhund und der ärgste Wamsklopfer von der Welt.« Und mit solchen Worten wollte er immer fortwürgen und die armen Kinder abschlachten; doch enthielt ich ihn so lang, bis er sich endlich erweichen ließe. Es waren aber eines Majors Weib, ihre Mägde und drei schöne Kinder, die mich von Herzen daureten; diese sperreten wir in einen Keller, auf daß sie uns so bald nicht verraten sollten, in welchem sie sonst nichts als Obs und weiße Rüben zu beißen hatten, bis sie gleichwohl wiederum von jemanden erlöst würden. Demnach plünderten wir die Kutschen und ritten mit sieben schönen Pferden in Wald, wo er zum dicksten war.

Als wir solche angebunden hatten und ich mich ein wenig umschauete, sahe ich unweit von uns einen Kerl stockstill an einem Baum stehen; solchen wiese ich dem Olivier und vermeinte, es wäre sich vorzusehen, »Ha, Narr!« antwortet er, »es ist ein Jud, den hab ich hingebunden; der Schelm ist aber vorlängsten erfroren und verreckt.« Und indem gieng er zu ihm, klopfte ihm mit der Hand unten aus Kinn und sagte: »Ha! du Hund, hast mir auch viel schöne Dukaten gebracht.« Und als er ihm dergestalt das Kinn bewegte, rolleten ihm noch etliche Duplonen zum Maul heraus, welche der arme Schelm[72] noch bis in seinen Tod davonbracht hatte. Olivier griff ihm darauf in das Maul und brachte zwölf Duplonen und einen köstlichen Rubin zusammen. »Diese Beute,« sagte er, »habe ich dir, Simplici, zu danken!« schenkte mir darauf den Rubin, stieß das Geld zu sich, und gieng hin, seinen Bauern zu holen, mit Befelch, ich sollte indessen bei den Pferden verbleiben, sollte aber wohl zusehen, daß mich der tote Jud nicht beiße, womit er mir meine Weichherzigkeit einriebe, daß ich keine solche Courage hätte wie er.

Als er nun nach dem Bauer aus war, machte ich indessen sorgsame Gedanken und betrachtete, in was vor einem gefährlichen Stand ich lebe. Ich nahm mir vor, auf ein Pferd zu sitzen und durchzugehen, besorgte aber, Olivier möchte mich über der Arbeit ertappen und erst niederschießen; dann ich argwöhnte, daß er meine Beständigkeit vor diesmal nur probiere und irgends stehe, mir aufzupassen. Bald gedachte ich, zu Fuß davonzulaufen, mußte aber doch sorgen, wann ich dem Olivier gleich entkäme, daß ich nichtsdestoweniger den Bauren auf dem Schwarzwald, die damals im Ruf waren, daß sie den Soldaten auf die Hauben klopften, nicht würde entrinnen können. Nimmst du aber, gedachte ich, alle Pferde mit dir, auf daß Olivier kein Mittel hat, dir nachzujagen, und würdest von den Weimarischen erwischt, so wirst du als ein überzeugter Mörder aufs Rad gelegt. Kurzab, ich konnte kein sicher Mittel zu meiner Flucht ersinnen, vornehmlich da ich mich in einem wilden Wald befand und weder Weg noch Steg wußte; überdas wachte mir mein Gewissen auch auf und quälete mich, weil ich die Kutsche aufgehalten und ein Ursacher gewesen, daß der Kutscher so erbärmlich ums Leben kommen und beide Weibsbilder und unschuldige Kinder in Keller versperret worden, worin sie vielleicht wie dieser Jude auch sterben und verderben müßten. Bald wollte ich armer Mensch mich meiner Unschuld getrösten, weil ich wider Willen und gleichsam gezwungen angehalten würde; aber mein Gewissen hielt mir vor, ich hätte vorlängsten mit meinen andern begangenen bösen Stücken verdienet, daß ich in Gesellschaft dieses Erzmörders in die Händ der Justiz gerate und meinen billigen Lohn empfange, und vielleicht hätte der gerechte Gott versehen, daß ich solchergestalt gestraft werden sollte. Zuletzt fieng ich an, ein Bessers zu hoffen, und bat die Güte Gottes, daß sie mich aus diesem Stand erretten wollte; und als mich so eine Andacht ankam, sagte ich zu mir selber: »Du Narr, du bist ja nicht eingesperrt oder angebunden; die ganze weite Welt stehet dir ja offen. Hast du jetzt nicht Pferde[73] genug, zu deiner Flucht zu greifen? oder da du nicht reuten willt, so sein deine Füße ja schnell genug, dich davonzutragen.« Indem ich mich nun selbst so marterte und quälete und doch nichts entschließen konnte, kam Olivier mit unserm Bauer daher. Der führte uns mit den Pferden auf einen Hof, da wir fütterten und einer um den andern ein paar Stunden schliefen. Nach Mitternacht ritten wir weiters und kamen gegen Mittag an die äußerste Grenzen der Schweizer, allwo Olivier wohl bekannt war und uns stattlich auftragen ließ. Und dieweil wir uns lustig machten, schickte der Wirt nach zweien Juden, die uns die Pferde gleichsam nur um halb Geld abhandelten. Es war alles so nett und just bestellet, daß es wenig Wortwechselns brauchte. Der Juden größte Frage war, ob die Pferde kaiserisch oder schwedisch gewesen. Und als sie vernahmen, daß sie von den Weimarischen herkämen, sagten sie: »So müssen wir solche nicht nach Basel, sondern in das Schwabenland zu den Bayrischen reuten!«, über welche große Kundschaft und Verträulichkeit ich mich nicht wenig verwundern mußte.

Wir bankettierten edelmännisch, und ich ließ mir die gute Waldforellen und köstliche Krebs daselbst wohlschmecken. Wie es nun Abend war, so machten wir uns wieder auf den Weg, hatten unsern Bauer mit Gebratens und andern Viktualien wie einen Esel beladen; damit kamen wir den andern Tag auf einen einzeln Baurnhof, allwo wir freundlich bewillkommt und aufgenommen wurden und uns wegen ungestümmen Wetters ein paar Tage aufhielten, weil es mit Wind, Regen und Schnee ein widerwärtiges Wetter gab. Folgends kamen wir durch lauter Wald und Abwege wieder in ebendasjenige Häuslein, dahin mich Olivier anfänglich führte, als er mich zu sich bekam.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 71-74.
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