Das erste Kapitel.

[170] Simplex in einer Vorrede zeigt an,

Was er im Einsiedlerstand hab getan.


Wann ihm jemand einbildet, ich erzähle nur darum meinen Lebenslauf, damit ich einem und andern die Zeit kürzen oder, wie die Schalksnarren und Possenreißer zu tun pflegen, die Leute zum Lachen bewegen möchte, so findet sich derselbe weit betrogen! Dann viel Lachen ist mir selbst ein Ekel, und wer die edle, unwiederbringliche Zeit vergeblich hinstreichen lässet, der verschwendet diejenige göttliche Gabe unnützlich, die uns verliehen wird, unsrer Seelen Heil in und vermittelst derselbigen zu würken. Warum sollte ich dann zu solcher eitelen Torheit verhelfen und ohn Ursache vergebens anderer Leute kurzweiliger Rat sein? Gleichsam als ob ich nicht wüßte, daß ich mich hierdurch fremder Sünden teilhaftig machte. Mein lieber Leser, ich bedünke mich gleichwohl zu solcher Profession um etwas zu gut zu sein; wer derowegen einen Narren haben will, der kaufe ihm zween, so hat er einen zum besten. Daß ich aber zuzeiten etwas possierlich aufziehe, geschiehet der Zärtlinge halber, die keine heilsame Pillulen können verschlucken, sie sein dann zuvor überzuckert und vergöldt, geschweige, daß auch etwan die allergravitätischte Männer, wann sie lauter ernstliche Schriften lesen sollen, das Buch ehender hinwegzulegen pflegen als ein anders, das bei ihnen bisweilen ein kleines Lächeln herauspresset. Ich möchte vielleicht auch beschuldiget werden, ob gieng ich zuviel satyrice darein; dessen bin ich aber gar nit zu verdenken, weil männiglich lieber gedultet, daß die allgemeine Laster generaliter durchgehechelt und gestrafet, als die eigne Untugenden freundlich korrigieret werden. So ist der theologische Stylus bei Herrn Omnes (dem ich aber diese meine Histori erzähle) zu jetzigen Zeiten leider auch nicht so gar angenehm, daß ich mich dessen gebrauchen sollte. Solches kann man an einem Markschreier oder Quacksalber (welche sich selbst vornehme Ärzte, Okulisten, Brüch- und Steinschneider nennen, auch ihre gute pergamentine Briefe[171] und Siegel darüber haben) augenscheinlich abnehmen, wann er am offnen Markt mit seinem Hans Wurst oder Hans Supp auftritt und auf den ersten Schrei und phantastischen krummen Sprung seines Narrn mehr Zulaufs und Anhörer bekommt als der eiferigste Seelenhirt, der mit allen Glocken dreimal zusammenläuten lassen, seinen anvertrauten Schäflein eine fruchtbare heilsame Predig zu tun.

Dem sei nun, wie ihm wolle, ich protestiere hiemit vor aller Welt, keine Schuld zu haben, wann sich jemand deswegen ärgert, daß ich den Simplicissimum auf diejenige Mode ausstaffiert, welche die Leute selbst erfodern, wann man ihnen etwas Nutzliches beibringen will. Lässet sich aber indessen ein und andrer der Hülsen genügen und achtet der Kern nicht, die darin verborgen stecken, so wird er zwar als von einer kurzweiligen Histori seine Zufriedenheit, aber gleichwohl dasjenige bei weitem nicht erlangen, was ich ihn zu berichten eigentlich bedacht gewesen: sahe darnach wiederum an, wo ichs im End des fünften Buchs bewenden lassen.

Daselbst hat der geliebte Leser verstanden, daß ich wiederum ein Einsiedler worden, auch warum solches geschehen: gebühret mir derowegen, nunmehr zu erzählen, wie ich mich in solchem Stand verhalten. Die erste paar Monat, alldieweil auch die erste Hitze noch dauret, giengs trefflich wohl ab: die Begierde der fleischlichen Wollüste oder, besser zu sagen, Unlüste, denen ich sonst trefflich ergeben gewesen, dämpfte ich gleich anfangs mit ziemlicher geringer Mühe, dann weil ich dem Baccho und der Cereri nicht mehr dienete, wollte Venus auch nicht mehr bei mir einkehren. Aber darmit war ich darum bei weitem nicht vollkommen, sondern hatte stündlich tausendfältige Anfechtungen, wann ich etwan an meine alte begangene lose Stücklein gedachte, um eine Reue dadurch zu erwecken, so kamen mir zugleich die Wollüste mit ins Gedächtnus, deren ich etwan da und dort genossen, welches mir nicht allemal gesund war noch zu meinem geistlichen Fortgang auferbaulich. Wie ich mich seithero erinnert und der Sache nachgedacht, ist der Müßiggang mein größter Feind und die Freiheit (weil ich keinem Geistlichen unterworfen, der meiner gepflegt und wahrgenommen hätte) die Ursach gewesen, daß ich nicht in meinem angefangenem Leben beständig verharret. Ich wohnete auf einem hohen Gebürg, »die Moos« genannt, so ein Stück vom Schwarzwald und überall mit einem finstern Tannenwald überwachsen ist; von demselben hatte ich ein schönes Aussehen gegen Aufgang in das Oppenauer Tal und dessen Nebenzinken, gegen Mittag[172] in das Kinzinger Tal und die Grafschaft Geroldseck, allwo dasselbe hohe Schloß zwischen seinen benachbarten Bergen das Ansehen hat, wie der König in einem aufgesetzten Kegelspiel; gegen Niedergang konnte ich das Ober- und Unterelsaß übersehen, und gegen Mitternacht, der niedern Marggrafschaft Baden zu, den Rheinstrom hinunter, in welcher Gegend die Stadt Straßburg mit ihrem hohen Münsterturn gleichsam wie das Herz mitten mit einem Leib beschlossen hervorpranget. Mit solchem Aussehen und Betrachtungen so schöner Landesgegend delektierte ich mich mehr, als ich eiferig betete: worzu mich mein Perspektiv, dem ich noch nit resigniert, trefflich anfrischte. Wann ich mich aber desselbigen wegen der dunklen Nacht nicht mehr gebrauchen konnte, so nahm ich mein Instrument, welches ich zu Stärkung des Gehörs erfunden, zuhanden und horchte dadurch, wie etwan auf etliche Stunden Wegs weit von mir die Baurenhunde bellen oder sich ein Gewild in meiner Nachbarschaft regte. Mit solcher Torheit gieng ich um und ließ mit der Zeit zugleich Arbeiten und Beten bleiben, wodurch sich hiebevor die alte ägyptische Einsiedel beides, leib- und geistlicherweise, erhalten. Anfänglich, als ich noch neu war, gieng ich von Haus zu Haus in den nächsten Tälern herum und suchte zu Aufenthaltung meines Lebens das Almosen, nahm auch nit mehr, als was ich blößlich bedorfte, und sonderlich verachtete ich das Gelt, welches die umliegende Nachbarn vor ein groß Wunder, ja für eine sonderbare apostolische Heiligkeit an mir schätzten. Sobald aber meine Wohnung bekannt ward, kam kein Waldgenoß mehr in Wald, der mir nit etwas von Essenspeisen mit sich gebracht hätte. Diese rühmeten meine Heiligkeit und ungewöhnliches einsiedlerisches Leben auch anderwärts, also daß auch die etwas weiters wohnende Leute, entweder aus Fürwitz oder Andacht getrieben, mit großer Mühe zu mir kamen und mich mit ihren Verehrungen besuchten. Da hatte ich an Brod, Butter, Salz, Käs, Speck, Eiern und dergleichen nicht allein keinen Mangel, sondern auch einen Überfluß, ward aber darum nicht desto gottseliger, sondern je länger, je kälter, saumseliger und schlimmer, also daß man mich beinahe einen Heuchler oder heiligen Schalk hätte nennen mögen. Doch unterließ ich nicht, die Tugenden und Laster zu betrachten und zu gedenken, was mir zu tun sein möchte, wann ich in Himmel wollte. Es geschahe aber alles unordentlich, ohn rechtschaffenen Rat und einen festen Vorsatz, hierzu einen Ernst anzulegen, welchen mein Stand und dessen Verbesserung von mir erforderte.[173]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 170-174.
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