Das sechste Kapitel.

[188] Simplex des Julus sein Reisen beschreibet,

Wie ihm Avarus die Zeiten vertreibet.


Der gnädige Herr, das ist Herr Julus, übernachtete an demjenigen Ort, da wir angeländet, und verblieb den andern Tag und die folgende Nacht noch darzu daselbsten, damit er ausruhen, seinen Wechsel empfangen und Anstalt machen möchte, von dar durch die spanische Niederlande in Holland zu passieren, welche vereinigte Provinzen er nicht allein zu besehen verlangte, sondern auch, daß er solches tun sollte, von seinem Herrn Vatter ausdrücklichen Befelch hatte. Hierzu dingte er eine sonderbare Landkutsche, zwar nur allein vor sich und seinen Diener Avarum, aber beides, Hoffart und Verschwendung, samt dem Geiz und ihrer aller Anhänger, wollten gleichwohl nicht zuruckverbleiben, sondern ein jeder Teil satzte sich, wohin er konnte, Hoffart oben an die Decke, Verschwendung an des Juli Seiten, der Geiz in des Avari Herz, und ich hockte und behalf mich auf dem Narrenkistlein, weil Demut nicht vorhanden war, denselbigen Platz einzunehmen.

Auch hatte ich das Glück, im Schlaf viel schöner Städte zu beschauen, die unter tausenden kaum einem wachend ins Gesicht kommen oder zu sehen werden. Die Reise gieng glücklich ab, und wannschon gefährliche Ungelegenheiten sich ereigneten, so überwand jedoch des Juli schwerer Säckel solche alle, weil er sich kein Geld tauren ließe und sich um solches (weil wir durch unterschiedliche widerwärtige Garnisonen reisen mußten) allerorten mit notwendigen Convoyen und Paßbriefen versehen ließe. Ich achtete derjenigen Sachen, so sonst in diesen Landen sehenswürdig sein, nicht sonderlich, sondern betrachtete nur, wie beide Jüngelinge nach und nach von den obgemeldten Lastern je mehr und mehr eingenommen würden, zu welchen sich je länger je mehr sammleten. Da sahe ich, wie Julus auch von dem Vorwitz und der Unkeuschheit (welche davorgehalten wird, daß sie eine[188] Sünde sei, damit die Hoffart gestraft werde) angerennet und eingenommen ward, weswegen wir dann oft an den Örtern, da sich leichte Dirnen befanden, länger stilliegen mußten und mehr Geldes vertäten, als sonst wohl die Notdurft erfoderte. Andernteils quälete sich Avarus, Geld zusammenzuschrappen, wie er mochte; er bezwackte nicht allein seinen Herrn, sondern auch die Wirte und Gastgeber, wo er zukommen mochte; gab mithin einen trefflichen Kuppler ab und scheuete sich nicht, hie und da unterwegs unsere Herberger zu bestehlen, und hätte es auch nur ein silberner Leffel sein sollen. Solchergestalt passierten wir durch Flandern, Brabant, Hennegau, Holland, Seeland, Zutphen, Geldern, Mecheln und folgends an die französische Grenze, endlich gar auf Paris, allwo Julus das lustigste und bequemste Losament bestellete, das er haben konnte. Seinen Avarum kleidete er edelmännisch und nennete ihn einen Junker, damit jedermann ihn selbst desto höher halten und gedenken sollte, er müßte kein kleiner Hans sein, weil ihm einer von Adel aufwartete, der ihn einen gnädigen Herrn hieß, maßen er auch vor einen Grafen gehalten ward. Er verdingte sich gleich einem Lautenisten, einem Fechter, einem Tanzmeister, einem Bereiter und einem Ballmeister, mehr sich sehen zu lassen, als ihnen ihre Künste und Wissenschaften abzulernen. Diese waren lauter solche Kauzen, die dergleichen neu ausgeflogenen Gästen das ihrige abzulausen vor Meister passierten; sie machten ihn bald beim Frauenzimmer bekannt, da es ohn Spendieren nicht abgieng, und brachten ihn auch sonst zu allerlei Gesellschaften, da man dem Beutel zu schräpfen pflegte und er allein den Riemen ziehen mußte. Dann die Verschwendung hatte bereits die Wollust mit allen ihren Töchtern eingeladen, diesen Julum bestreiten und kaput machen zu helfen.

Anfänglich zwar ließ er sich nur mit dem Ballenschlagen, Ringelrennen, den Komödien, Balletten und dergleichen zulässigen und ehrlichen Übungen, denen er beiwohnet und selbst mitmachte, genügen; da er aber erwarmete und bekannt ward, kam er auch an diejenige Örter, da man seinem Gelt mit Würfeln und Karten zusatzte, bis er endlich auch die vornehmste Hurenhäuser durchschwärmte. In seinem Losament aber gieng es zu, wie bei des Königs Arturi Hofhaltung, da er täglich viel Schmarotzer nicht schlecht hinweg mit Kraut oder Rüben, sondern mit teuren franzischen Pottagien und spanischen Olla Pattriden köstlich traktierte; maßen ihn oft ein einziger Imbiß über 25 Pistoletten gestund, sonderlich wann man die Spielleut rechnete, die er gemeiniglich dabei zu haben pflegte; über dieses[189] brachten ihn die neue Moden der Kleidungen, welche geschwind nacheinander folgten und aufstunden und sich bald wieder veränderten, um ein großes Gelt, mit welcher Torheit er desto mehr prangte, weil ihm, als einem fremden Kavalier, keine Trachte verbotten war. Da mußte alles mit Gold gestickt und verbrämt sein, und vergieng kein Monat, in dem er nicht ein neues Kleid angezogen, und kein Tag, daran er nicht sein Parücke etlichmal gepudert hätte; dann wiewohl er von Natur ein schönes Haar hatte, so beredete ihn doch die Hoffart, daß er solches abschneiden und sich mit Fremdem zieren lassen, weil es so der Brauch war; dann sie sagte, die Sönderlinge, so sich mit ihrem natürlichen Haar behälfen, wann solches gleichwohl schön sei, gäben damit nichts an ders zu verstehen, als daß sie arme Schurchen sein, die nit so viel vermöchten, ein kahl Hundert Dukaten an ein paar schöne Parücken zu verwenden. In Summa, es mußte alles so kostbarlich hergehen und bestellet sein, als es die Hoffart immermehr ersinnen und ihm die Verschwendung eingeben konnte.

Obzwar nun dem Geiz, welcher den Avarum schon ganz besaß, eine solche Art zu leben durchaus widerwärtig zu sein erschien, so ließ er, Avarus, ihm jedoch solche wohlgefallen, weil er sie ihm wohl zunutz zu machen gedachte; dann Mammon hatte ihn allbereit beweget, sich der Untreu zu ergeben, wann er anders etwas prosperieren wollte, weswegen er dann keine Gelegenheit vorüberlaufen ließ, seinem Herrn, der ohndas sein Geld so unnützlich hinausschlauderte, abzuzwacken, was er konnte. Im wenigsten bezahlete er keine Näherin oder Wäscherin, deren er ihren gewöhnlichen Lohn nicht allein ringerte, und was er denen abbrach, heimlich in seinen Beutel steckte. Kein Kleidflicker oder Schuhschmiererlohn war so klein, den er seinem Herrn nicht vergrößerte, und den Überfluß zu sich schob; geschweige, wie er in großen Ausgaben per fas et nefas zu sich rappte und sackte, wo er nur konnte und möchte. Die Sesselträger, mit denen sein Herr viel Geld hinrichtete, veränderte er gleich, wann sie ihm nit Part an ihren Verdienst gaben; der Pastetenbäcker, der Garkoch, der Weinschenker, der Holzhändler, der Fischverkaufer, der Bäcker, und also andere Viktualisten mußten beinahe ihren Gewinn mit ihm teilen, wollten sie anders an dem Julo länger einen guten Kunden behalten: dann er war dergestalt eingenommen, seinem Herrn durch Besitzung vielen Geldes und Gutes gleich zu werden, als etwan hiebevor Luzifer, da er wegen seiner vom Allerhöchsten verliehenen Gaben erkühnete, seinen Stuhl an den mächtigen Thron des großen Gottes zu setzen. Also lebten beide Jünglinge ohn alle andere Anfechtungen[190] zwar dahin, eh sie wahrnahmen, wie sie lebeten; dann Julus war an zeitlicher Habe ja so reich, als Avarus bedörftig, und deswegen vermeinte jeder, er verführe seinem Stand nach gar recht und wohl, ich will sagen, wie es eines jeden Stand und Gelegenheit erfodere, jener zwar seinem Reichtum gemäß sich herrlich und prächtig zu erzeigen, dieser aber seiner Armut zu Hülfe zu kommen und etwas zu prosperieren und sich der gegenwärtigen Gelegenheit zu bedienen, die ihm sein vertunlicher Herr an die Hand gab. Jedoch unterließ der innerliche Wächter, das Liecht der Vernunft, der Zeuge, der nimmer gar stillschweiget, nämlich das Gewissen, indessen nicht, einem jeden seine Fehler zeitlich genug vorzuhalten und ihn eines andern zu erinnern.

»Gemach! gemach!« ward zu dem Julo gesprochen, »halt ein, dasjenige so unnützlich zu verschwenden, welches deine Vorderen vielleicht mit saurer Mühe und Arbeit, ja vielleicht mit Verlust ihrer Seligkeit erworben und dir so getreulich vorgesparet haben; vielmehr lege es also an, damit du künftig deswegen beides, vor Gott, der ehrbarn Welt und deinen Nachkommen, bestehen und Rechenschaft darum geben mögest etc.« Aber diesen und dergleichen heilsamen Erinnerungen oder innerlichen guten Einsprechungen, die Julum zur Mäßigkeit reizen wollten, ward geantwortet: »Was? ich bin kein Bärnhäuter noch Schimmeljud, sondern ein Kavalier; sollte ich meine adelige Exercitia in Gestalt eines Bettelhundes oder Schurken begreifen? Nein! das ist nicht der Gebrauch noch Herkommens! ich bin nit hier, Hunger und Durst zu leiden, viel weniger wie ein alter karger Filz zu schachern, sondern als ein rechtschaffener Kerl von meinen Renten zu leben!« Wann aber die gute Einfälle, die er melancholische Gedanken zu nennen pflegte, auf solche Gegenwürfe dannoch nicht ablassen wollten, ihn aufs beste zu ermahnen, so ließ er ihm das Lied: »Laßt uns unser Tag genießen, Gott weiß, wo wir morgen sein etc.« aufspielen, oder besuchte das Frauenzimmer oder sonst eine lustige Gesellschaft, mit deren er einen Rausch soff, wovon er je länger je ärger und endlich gar zu einem Epikurer ward.

Nicht weniger ward andernteils Avarus von innerlichen Zusprechen erinnert, daß dieser Weg, den er zum Besitz der Reichtum zu gehen antrette, die allergrößte Untreu von der Welt sei, mit fernerer Ermahnung, er sei seinem Herrn nit allein mitgeben worden, ihm zu dienen, sondern auch durchaus seinen Schaden zu wenden, seinen Nutzen zu fördern, ihn zu allen ehrlichen Tugenden anzureizen, vor allen schändlichen Lastern zu warnen und vornehmlich seine zeitliche Habe nach[191] müglichsten Fleiß zusammenzuheben und beobachten, welche er aber im Gegenteil selbst zu sich reiße, und ihn, Julum, noch darzu in allerhand Laster stürzen helfe; item, auf was Weise er wohl vermeine, daß er solches gegen Gott, dem er um alles Rechenschaft geben müßte, gegen des Juli frommen Eltern, die ihm ihren einzigen Sohn anvertrauet und getreulich zu beobachten befohlen, und endlich gegen dem Julo selbsten zu verantworten getraue, wann derselbe zu seinen Tagen kommen und heut oder morgen verstehen werde, daß aus seiner Verwahrlosung und Untreu beides, seine Person zu allen guten verderbt und sein Reichtum unnützlich verschwendet worden? »Hiemit zwar, o Avare, ist es noch nicht genug; dann über solche schwere Verantwortung, die du dir des Juli Person und Geltes wegen aufbürdest, besudelst du dich selbst auch mit dem schändlichen Laster des Diebstahls und machest dich des Strangs und Galgens würdig; du unterwirfst deine vernünftige, ja himmlische Seele dem Schlamm der irdischen Güter, die du ungetreuer- und hochsträflicherweise zusammenzuscharren gedenkest, welche doch der Heide Crates Thebanus ins Meer warf, damit sie ihn nit verderben sollten, wiewohl er solche rechtmäßig besaß. Wie vielmehr kannst du wohl erachten, werden sie dein Untergang sein, indem du solche im Gegenspiel aus dem großen Meer deiner Untreu erfischen willst! Solltest du dir wohl einbilden dörfen, sie werden dir wohlgedeien?«

Solche und dergleichen mehr guter Ermahnungen beides, von der gesunden Vernunft und seinem Gewissen, empfand zwar Avarus in sich selbsten; aber es mangelte ihm hingegen mitnichten an Entschuldigungen, sein böses Beginnen zu beschönen und gut zu sprechen. »Was?« sagte er mit Salomone, Proverbior. 26, wegen des Juli Person, »was soll dem Narrn Ehre, Gelt und gute Tage? sie könnens doch nicht brauchen! Zudem hat er ohnedas genug, und wer weiß, wie es seine Eltern gewonnen haben? Ist es nicht besser, ich packe selbst dasjenige an, das er doch sonst ohn mich verschwendet, als daß ichs unter Fremde kommen lasse?«

Dergestalt folgten beide Jünglinge ihren verblendeten Begierden und ersäuften sich mithin in Abgrund der Wollust, bis endlich Julus die liebe Franzosen bekam und eine Woche oder vier schwitzen und beides, seinen Leib und Beutel, purgieren lassen mußte, welches ihn darum nicht besser machte oder ihm zur Warnung gediege; dann er machte das gemeine Sprichwort wahr: »Da der Krank wieder genas, je ärger er was.«[192]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 188-193.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch: Roman
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon