Das 32. Kapitel

[90] Handelt abermal von nichts anderm als der Säuferei, und wie man die Pfaffen davon soll abschaffen


Wie dies vorüber, mußte ich wieder aufwarten wie zuvor, mein Pfarrer war noch vorhanden, und wurde sowohl als andere zum Trunk genötiget, er aber wollte nicht recht daran, sondern sagte: Er möchte so bestialisch nicht saufen; hingegen erwies ihm ein guter Zechbruder, daß er Pfarrer wie eine Bestia, er der Säufer und andere Anwesende aber wie Menschen söffen. »Denn«, sagte er, »ein Vieh säuft nur soviel als ihm wohl schmecket, und den Durst löscht, weil sie nicht wissen was gut ist, noch den Wein trinken mögen; uns Menschen aber beliebt, daß wir uns den Trunk zunutz machen, und den edlen Rebensaft einschleichen lassen, wie unser Voreltern auch getan haben.« »So wohl«, sagt' der Pfarrer, »es gebührt mir aber rechte Maß zu halten«; »Wohl«, antwortet jener, »ein ehrlicher Mann hält sein Wort«, und ließ ihm darauf einen mäßigen Becher einschenken, denselben dem Pfarrer zuzuzotteln; er hingegen ging durch, und ließ den Säufer mit seinem Eimer stehen.

Als dieser abgeschafft war, ging es drunter und drüber, und ließ sich ansehen, als wenn diese Gasterei ein bestimmte Zeit und Gelegenheit sein sollte, sich gegeneinander mit Vollsaufen zu rächen, einander in Schand zu bringen, oder sonst ein Possen zu reißen; denn wenn einer expediert wurde, daß er weder sitzen, gehen oder stehen mehr konnte, so hieß es: ›Nun ists wett! Du hast mirs hiebefür auch so gekocht, jetzt ist dirs eingetränkt‹, und so fortan etc. Welcher[90] aber ausdauren und am besten saufen konnte, wußte sich dessen groß zu machen, und dünkte sich kein geringer Kerl zu sein; zuletzt dürmelten sie alle herum, als wenn sie Bilsensamen genossen hätten. Es war eben ein wunderliches Faßnachtspiel an ihnen zu sehen, und war doch niemand, der sich darüber verwundert' als ich; einer sang, der ander weinet', einer lachte, der ander traurete, einer fluchte, der ander betete, einer schrie überlaut Courage, der ander konnte nicht mehr reden, einer war stille und friedlich, der ander wollte den Teufel mit Raufhändeln bannen, einer schlief und schwieg still, der ander plaudert', daß sonst keiner vor ihm zukommen konnte; Einer erzählte seine liebliche Buhlerei, der ander seine erschrecklichen Kriegstaten, etliche redeten von der Kirch und geistlichen Sachen, andere von Ratione Status, der Politik, Welt- und Reichs-Händeln; teils liefen hin und wider, und konnten an keiner Stelle bleiben, andere lagen und vermochten nicht, den kleinesten Finger zu regen, geschweige aufrecht zu gehen oder zu stehen, etliche fraßen wie die Drescher und als ob sie acht Tage Hunger gelitten hätten, andere kotzten wieder, was sie denselbigen ganzen Tag eingeschlucket hatten. Einmal, ihr ganzes Tun und Lassen war dermaßen possierlich, närrisch, seltsam, und dabei so sündhaftig und gottlos, daß der mir entwischte üble Geruch, darum ich gleichwohl so greulich zerschlagen worden, nur ein Scherz dagegen zu rechnen. Endlich setzt' es unten an der Tafel ernstliche Streithändel, da warf man einander Gläser, Becher, Schüssel und Teller an die Köpf, und schlug nicht allein mit Fäusten, sondern auch mit Stühlen, Stuhlbeinen, Degen und allerhand Sieben-Sachen drein, daß etlich der rote Saft über die Ohren lief, aber mein Herr stillete den Handel gleich wiederum.

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 90-91.
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