Das 4. Kapitel

[312] Beau Alman wird wider seinen Willen in den Venus-Berg geführt


Hierdurch wurde ich bei hohen Personen bekannt, und es schien, als ob mir das Glück wieder auf ein neues hätte leuchten wollen, denn mir wurden gar des Königs Dienste angeboten, welches manchem großen Hansen nicht widerfährt. Einsmals kam ein Lakai, der sprach meinen Monsig.[312] Canard an, und bracht ihm meinetwegen ein Brieflein, eben als ich bei ihm in seinem Laboratorio saß, und reverberierte (denn ich hatte aus Lust bei meinem Doktor schon perlutiern, resolviern, sublimiern, coaguliern, digeriern, calciniern, filtriern, und dergleichen unzählig viel alkühmistische Arbeit gelernet, dadurch er seine Arzneien zuzurichten pflegte). »Monsieur Beau Alman«, sagte er zu mir, »dies Schreiben betrifft Euch: Es schicket ein vornehmer Herr nach Euch, der begehrt, Ihr wollet gleich zu ihm kommen, er wolle Euch ansprechen, und vernehmen, ob Euch nicht beliebe, seinen Sohn auf der Lauten zu informieren? Er bitt mich, Euch zuzusprechen, daß Ihr ihm diesen Gang nit abschlagen wollet, mit sehr courtoisem Versprechen, Euch diese Mühe mit freundlicher Dankbarkeit zu belohnen.« Ich antwortet, wenn ich seinet (verstehe Mons. Canards) wegen jemand dienen könne, so würde ich meinen Fleiß nit sparen. Darauf sagte er, ich sollte mich nur anders anziehen, mit diesem Lakaien zu gehen, indessen bis ich fertig, wollte er mir etwas zu essen fertig machen lassen, denn ich hätte ein ziemlich weiten Weg zu gehen, daß ich kaum vor Abend an den bestimmten Ort kommen würde: Also putzte ich mich ziemlich, und verschluckte in Eil etwas von der Kollation, sonderlich aber ein paar kleiner delikater Würstlein, welche, als mich deuchte, ziemlich stark apothekerten; ging demnach mit gedachtem Lakaien durch seltsame Umweg einer Stund lang, bis wir gegen Abend vor eine Gartentür kamen, die nur zugelehnt war, dieselbe stieß der Lakai vollends auf, und demnach ich hinter ihm hineingetreten, schlug er selbige wieder zu, führte mich nachgehends in das Lusthaus, so in einem Eck des Gartens stand, und demnach wir einen ziemlich langen Gang passierten, klopfte er vor einer Tür, so von einer alten adeligen Dame stracks aufgemacht wurde; diese hieß mich in teutscher Sprach sehr höflich willkomm sein, und zu ihr vollends hineintreten, der Lakai aber, so kein teutsch konnte, nahm mit tiefer Reverenz seinen Abschied. Die Alte nahm mich bei der Hand, und führte mich vollend ins Zimmer, das rund umher mit den köstlichsten Tapeten behängt, zumal[313] sonsten auch schön geziert war; sie hieß mich niedersitzen, damit ich verschnauben, und zugleich vernehmen könnte, aus was Ursachen ich an diesen Ort geholet; Ich folgte gern, und setzte mich auf einen Sessel, den sie mir zu einem Feuer stellte, so in demselben Saal wegen ziemlicher Kält brannte; sie aber setzte sich neben mich auf einen andern, und sagte: »Monsieur, wenn Er etwas von den Kräften der Liebe weiß, daß nämlich solche die allertapfersten, stärksten und klügsten Männer überwältige und zu beherrschen pflege, so wird Er sich um soviel desto weniger verwundern, wenn dieselbe auch ein schwaches Weibsbild meistert; Er ist nicht seiner Lauten halber, wie man Ihn und Mons. Canard überredt gehabt, von einem Herrn, aber wohl seiner übertrefflichen Schönheit halber von der allervortrefflichsten Damen in Paris hieher berufen worden, die sich allbereit des Tods versiehet, da sie nit bald des Herrn überirdische Gestalt zu beschauen, und sich damit zu erquicken das Glück haben sollte: Derowegen hat sie mir befohlen, dem Herrn, als meinem Landsmann, solches anzuzeigen, und Ihn höher zu bitten als Venus ihren Adonidem, daß Er diesen Abend sich bei ihr einfinden, und seine Schönheit genugsam von ihr betrachten lasse, welches Er ihr verhoffentlich als einer vornehmen Damen nit abschlagen wird.« Ich antwortet: »Madame, ich weiß nicht was ich gedenken, viel weniger hierauf sagen solle! Ich erkenne mich nicht danach beschaffen zu sein, daß eine Dame von so hoher Qualität nach meiner Wenigkeit verlangen sollte; überdas kommt mir in Sinn, wenn die Dam, so mich zu sehen begehrt, so vortrefflich und vornehm sei, als mir mein hochgeehrte Frau Landsmännin vorbracht, daß sie wohl bei früherer Tagszeit nach mir schicken dürfen, und mich nicht erst hieher an diesen einsamen Ort, bei so spätem Abend, hätte berufen lassen; Warum hat sie nicht befohlen, ich solle stracks Wegs zu ihr kommen? Was hab ich in diesem Garten zu tun? Mein hochg. Frau Landsmännin vergebe mir, wenn ich als ein verlassener Fremder in die Furcht gerate, man wolle mich sonst hintergehen, sintemal man mir gesagt, ich sollte zu einem Herrn kommen, so[314] sich schon im Werk anders befindet; sollte ich aber merken, daß man mir so verräterisch mit bösen Tücken an Leib wollte kommen, würde ich vor meinem Tod meinen Degen noch zu gebrauchen wissen!« »Sachte, sachte, mein hochgeehrter Herr Landsmann, Er lasse diese unnötigen Gedanken aus dem Sinn« (antwortet' sie mir), »die Weibsbilder sind seltsam und vorsichtig in ihren Anschlägen, daß man sich nit gleich anfangs so leicht darein schicken kann; Wenn diejenige, die Ihn über alles liebet, gern hätte, daß Er Wissenschaft von ihrer Person haben sollte, so hätte sie Ihn freilich nit erst hieher, sondern den geraden Weg zu sich kommen lassen; dort liegt eine Kappe (wies damit auf den Tisch) die muß der Herr ohnedas aufsetzen, wenn Er von hier aus zu ihr geführt wird, weil sie auch so gar nit will, daß Er den Ort, geschweig bei wem Er gesteckt, wissen solle; bitte und ermahne demnach den Herrn so hoch als ich immer kann, Er erzeige sich gegen diese Dame, sowohl wie es ihre Hoheit, als ihre gegen Ihn tragende unaussprechliche Liebe meritiert, da Er anders gewärtig sein will zu erfahren, daß sie mächtig genug sei, seinen Hochmut und Verachtung, auch in diesem Augenblick, zu strafen: Wird Er sich aber der Gebühr nach gegen sie einstellen, so sei Er versichert, daß Ihm auch der geringste Tritt, den Er ihretwegen getan, nicht ohnbelohnt verbleiben wird.«

Es wurde allgemach finster, und ich hatte allerhand Sorgen und furchtsame Gedanken, also daß ich da saß wie ein geschnitzt Bild, konnte mir auch wohl einbilden, daß ich von diesem Ort so leicht nicht wieder entrinnen könnte, ich willigte denn in alles, so man mir zumutete; sagte derhalben zu der Alten: »Nun denn, mein hochgeehrte Frau Landsmännin, wenn ihm denn so ist, wie Sie mir vorgebracht, so vertraue ich meine Person Ihrer angebornen teutschen Redlichkeit, der Hoffnung, Sie werde nicht zulassen, viel weniger selbst vermitteln, daß einem unschuldigen Teutschen eine Untreu widerfahre, Sie vollbringe, was Ihr meinetwegen befohlen ist, die Dame, von der Sie mir gesagt, wird verhoffentlich keine Basilisken-Augen haben, mir den Hals abzusehen.« »Ei behüt Gott«, sagte sie, »es[315] wäre schad, wenn ein solcher Leib, mit welchem unsere ganze Nation prangen kann, jetzt schon sterben sollte, Er wird mehr Ergötzung finden, als Er sich sein Tag niemals einbilden dürfen.« Wie sie meine Einwilligung hatte, rief sie Jean und Pierre, diese traten alsobald, jeder in vollem blanken Küraß, von dem Scheitel bis auf die Fußsohlen gewaffnet, mit einer Hellebarden und Pistol in der Hand, hinter einer Tapezerei hervor, davon ich dergestalt erschrack, daß ich mich ganz entfärbte; die Alte nahm solches wahr und sagte lächelnd: »Man muß sich so nit fürchten, wenn man zum Frauenzimmer gehet«, befahl darauf ihnen beiden, sie sollten ihren Harnisch ablegen, die Latern nehmen, und nur mit ihren Pistolen mitgehen; demnach streifte sie mir die Kappe, die von schwarzem Sammet war, übern Kopf, trug meinen Hut unterm Arm, und führet' mich durch seltsame Weg an der Hand: Ich spürte wohl, daß ich durch viel Türen, und auch über einen gepflasterten Weg passierte, endlich mußte ich etwa nach einer halben Viertelstund eine kleine steinerne Stegen steigen, da tat sich ein klein Türlein auf, von dannen kam ich über einen besetzten Gang, und mußte eine Windelstegen hinauf, folgends etliche Staffeln wieder hinab, allda sich etwa sechs Schritt weiters eine Tür öffnet', als ich endlich durch solche kam, zog mir die Alte die Kappe wieder herunter, da befand ich mich in einem Saal, der da überaus zierlich aufgeputzet war, die Wände waren mit schönen Gemälden, das Tresor mit Silbergeschirr, und das Bett so darinnen stand, mit Umhängen von güldenen Stücken geziert; In der Mitten stand der Tisch prächtig gedeckt, und bei dem Feur befand sich eine Badwanne, die wohl hübsch war, aber meinem Bedünken nach schändet' sie den ganzen Saal; die Alte sagte zu mir: »Nun willkomm Herr Landsmann, kann Er noch sagen, daß man Ihn mit Verräterei hintergehe? Er lege nur allen Unmut ab, und erzeige sich wie neulich auf dem Theatro, da Er seine Eurydiken wieder vom Plutone erhielt, ich versichere Ihn, Er wird hier eine schönere antreffen, als Er dort eine verloren.«

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 312-316.
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