Das 6. Kapitel

[320] Simplicius macht sich heimlich weg, und wie ihm der Stein geschnitten wird, als er vermeint, er habe mal de Nable


Durch diese meine Hantierung brachte ich beides an Geld und andern Sachen so viel Verehrungen zusammen, daß mir angst dabei wurde, und verwunderte ich mich nit mehr, daß sich die Weibsbilder ins Bordell begeben, und ein Handwerk aus dieser viehischen Unfläterei machen, weil[320] es so trefflich wohl einträgt; Aber ich fing an, und ging in mich selber, nit zwar aus Gottseligkeit oder Trieb meines Gewissens, sondern aus Sorg, daß ich einmal auf so einer Kürbe ertappt, und nach Verdienst bezahlt werden möchte: Derhalben trachtet ich, wieder nach Teutschland zu kommen, und das um soviel desto mehr, weil der Kommandant zu L. mir geschrieben, daß er etliche kölnische Kaufleute bei den Köpfen gekriegt, die er nit aus Händen lassen wollte, es seien ihm denn meine Sachen zuvor eingehändigt. Item, daß er mir das versprochene Fähnlein noch aufhalte, und meiner noch vor dem Frühling gewärtig sein wollte, denn sonst, wo ich in der Zeit nit käme, müßte er die Stell mit einem andern besetzen; so schickte mir mein Weib auch ein Brieflein dabei, das voll liebreicher Bezeugungen ihres großen Verlangens war: hätte sie aber gewußt, wie ich so ehrbar gelebt, so sollte sie mir wohl einen andern Gruß hineingesetzt haben.

Ich konnte mir wohl einbilden, daß ich mit Monsig. Canards Konsens schwerlich hinwegkäme, gedacht derhalben heimlich durchzugehen, sobald ich Gelegenheit haben könnte, so mir zu meinem großen Unglück auch anging. Denn als ich einsmals etliche Offizier von der weimarischen Armee antraf, gab ich mich ihnen zu erkennen, daß ich nämlich ein Fähnrich von des Obristen de S.A. Regiment, und in meinen eigenen Geschäften ein Zeitlang in Paris gewesen, nunmehr aber entschlossen sei, mich wieder zum Regiment zu begeben, mit Bitt, sie wollten mich in ihre Gesellschaft zu einem Reisgefährten mitnehmen: Also eröffneten sie mir den Tag ihres Aufbruchs, und nahmen mich willig auf, ich kaufte mir einen Klepper, und montierte mich auf die Reis so heimlich als ich konnte, packte mein Geld zusamm (so ohngefähr bei fünfhundert Dublonen waren, die ich alle den gottlosen Weibsbildern abverdient hatte), und machte mich ohne von Mons. Canard gegebene Erlaubnis mit ihnen fort; schrieb ihm aber zurück, und datiert das Schreiben zu Maastricht, damit er meinen sollte, ich wäre auf Köln gangen, darin nahm ich meinen Abschied, mit Vermelden, daß mir unmöglich gewesen länger zu bleiben,[321] weil ich seine aromatischen Würste nicht mehr verdauen hätte können.

Im zweiten Nachtlager von Paris aus wurde mir natürlich wie einem der den Rotlauf bekommt, und mein Kopf tat mir so grausam wehe, daß mir unmöglich war aufzustehen. Es war in einem gar schlechten Dorf, darin ich keinen Medicum haben konnte, und was das Ärgste war, so hatte ich auch niemand der mir wartete, denn die Offizier reisten des Morgens früh ihres Wegs fort, gegen das Elsaß zu, und ließen mich, als einen der sie nichts anginge, gleichsam todkrank daliegen, doch befahlen sie bei ihrem Abschied dem Wirt mich und mein Pferd, und hinterließen bei dem Schulzen im Dorf, daß er mich als einen Kriegsoffizier, der dem König diene, beobachten sollte.

Also lag ich ein paar Tag dort, daß ich nichts von mir selber wußte, sondern wie ein Hirnschelliger fabelte, man brachte den Pfaffen, derselbe konnte aber nichts Verständiges von mir vernehmen. Und weil er sah, daß er mir die Seel nit arzneien konnte, gedacht er auf Mittel, dem Leib nach Vermögen zu Hilf zu kommen, allermaßen er mir eine Ader öffnen, ein Schweißtrank eingeben, und in ein warmes Bett legen lassen, zu schwitzen; Das bekam mir so wohl, daß ich mich in derselben Nacht wieder besann wo ich war, und wie ich dahin kommen, und krank worden wäre. Am folgenden Morgen kam obgemeldter Pfaff wieder zu mir, und fand mich ganz desperat, dieweil mir nicht allein all mein Geld entführt war, sondern auch nit anders meinte, als hätte ich (s.v.) ›die lieben Franzosen‹, weil sie mir billiger als so viel Pistolen gebührten, und ich auch über dem ganzen Leib so voller Flecken war, als ein Tiger; ich konnte weder gehen, stehen, sitzen noch liegen, da war keine Geduld bei mir, denn gleichwie ich nicht glauben konnte, daß mir Gott das verlorne Geld beschert hätte, also war ich jetzt so ungehalten, daß ich sagte, der Teufel hätte mirs wieder weggeführt! Ja ich stellte mich nicht anders, als ob ich ganz verzweifeln hätte wollen, daß also der gute Pfarrer genug an mir zu trösten hatte, weil mich der Schuh an zweien Orten so heftig drückte. »Mein Freund«, sagt' er,[322] »stellt Euch doch als ein vernünftiger Mensch, wenn Ihr Euch ja nit in Eurem Kreuz anlassen könnet wie ein frommer Christ, was macht Ihr, wollt Ihr zu Eurem Geld auch das Leben, und was mehr ist, auch die Seligkeit verlieren?« Ich antwortet: »Nach dem Geld fragte ich nichts, wenn ich nur diese abscheuliche verfluchte Krankheit nit am Hals hätte, oder wäre nur an Ort und Enden, da ich wieder kuriert werden könnte!« »Ihr müßt Euch gedulden«, antwort der Geistliche, »wie müssen die armen kleinen Kinder tun, deren in hiesigem Dorf über fünfzig daran krank liegen?« Wie ich hörte, daß auch Kinder damit behaftet, war ich alsbalden herzhafter, denn ich konnte ja leicht gedenken, daß selbige diese garstige Seuch nit kriegen würden; nahm derowegen mein Felleisen zur Hand, und suchte, was es etwa noch vermöchte, aber da war ohne das weiß Gezeug nichts Schätzbares innen, als ein Kapsel mit einer Damen Conterfait, rund herum mit Rubinen besetzt, so mir eine zu Paris verehrt hatte; ich nahm das Conterfait heraus, und stellte das übrige dem Geistlichen zu, mit Bitt, solches in der nächsten Stadt zu versilbern, damit ich etwas zu verzehren haben möchte: Dies ging dahin, daß ich kaum den dritten Teil seines Werts dafür kriegte, und weil es nit lang daurte, mußte auch mein Klepper fort, damit reichte ich kärglich hinaus, bis die Purpeln anfingen zu dörren, und mir wieder besser wurde.

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 320-323.
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