Das 21. Kapitel

[366] Wie des Herzbruders Prophezei Simplicius dem Olivier erfüllt, als keiner den andern kannte


Es wurde mir grün und gelb vor den Augen, als ich aus Oliviers eigenem Maul hören mußte, wie er mit meinem allerwertesten Freund umgangen, und gleichwohl keine Rach vornehmen durfte, ich mußte noch dazu mein Anliegen verbeißen, damit ers nit merkte, sagte derowegen, er sollte mir auch erzählen, wie es ihm nach der Schlacht vor Wittstock ferner ergangen wäre?

»In demselben Treffen«, sagte Olivier, »hielt ich mich nicht wie ein Federspitzer, der nur auf das Tintenfaß bestellt[366] ist, sondern wie ein rechtschaffener Soldat, denn ich war wohlberitten, und so fest als Eisen, zumal in keine Schwadron eingeschlossen, ließ derhalben meinen Valor sehen, als einer der durch den Degen hochzukommen oder zu sterben gedenkt; ich vagierte um unsere Brigade herum wie eine Windsbraut, mich zu exerzieren, und den Unsern zu weisen, daß ich besser zu den Waffen als zu der Feder tauge; aber es half nichts, das Glück der Schweden überwand, und ich mußte der Unsern Unglückseligkeit teilhaftig werden, allermaßen ich Quartier nehmen mußte, wiewohl ich es kurz zuvor keinem geben wollte.

Also wurde ich nun wie andere Gefangene unter ein Regiment zu Fuß gestoßen, welches sich wieder zu erholen nach Pommern gelegt wurde, und demnach es viel neugeworbene Bursch gab, ich aber eine treffliche Courage verspüren ließ, wurde ich zum Korporal gemacht; aber ich gedacht da nit lang Mist zu machen, sondern bald wieder unter die Kaiserlichen zu kommen, als deren Partei ich besser affektioniert war, da ich doch ohne Zweifel bei den Schweden bessere Beförderung gefunden hätte. Mein Ausreißen setzte ich folgendergestalt ins Werk: Ich wurde mit sieben Musketiern ausgeschickt, in unsern abgelegenen Quartiern die ausständige Kontribution zu erpressen; als ich nun über achthundert Gulden zuwege gebracht, zeigte ich meinen Burschen das Geld, und machte ihre Augen nach demselben lüsternd, also daß wir des Handels miteinander eins wurden, solches unter uns zu teilen, und damit durchzugehen; Als solches geschehen, persuadiert ich ihrer drei, daß sie mir halfen die andern vier totschießen, und nach solcher Verrichtung teilten wir das Geld, nämlich jedem zweihundert Gulden, damit marschierten wir gegen Westfalen; unterwegs überredt ich noch einen aus denselben dreien, daß er auch die zween übrigen niederschießen half, und als wir das Geld abermal miteinander teilen sollten, er würgte ich den letzten auch, und kam mit dem Geld glücklich nach Werl, allwo ich mich unterhalten ließ, und mit diesem Geld ziemlich lustig machte.

Als solches auf die Neige ging, und ich ein als den andern[367] Weg gern bankettiert hätte, zumaln viel von einem jungen Soldaten in Soest hörte rühmen, was treffliche Beuten und großen Namen er sich damit machte, wurde ich angefrischt, ihm nachzufolgen; man nannte ihn wegen seiner grünen Kleidung den Jäger, derhalben ich auch eins machen ließ, und stahl auf ihn in seinen und unsern eignen Quartieren, mit Verübung sonst allerhand Exorbitantien dermaßen, daß uns beiden das Parteigehen niedergelegt werden wollte; jener zwar blieb daheim, ich aber mausete noch immerfort in seinem Namen, soviel ich konnte, also daß besagter Jäger um solcher Ursach willen mich auch herausfordern ließ, aber der Teufel hätte mit ihm fechten mögen, den er auch, wie mir gesagt wurde, in Haaren sitzen hatte, er würde mir meine Festigkeit schön aufgetan haben.

Doch konnte ich seiner List nicht entgehen, denn er praktizierte mich mit Hilf seines Knechts in eine Schäferei, samt meinem Kameraden, und wollte mich zwingen, ich sollte daselbst beim Mondenschein, in Gegenwart zweier leibhafter Teufel, die er als Sekundanten bei sich hatte, mit ihm raufen; Weil ichs aber nicht tun wollte, zwangen sie mich zu der spöttlichsten Sach von der Welt, so mein Kamerad unter die Leute bracht, davon ich mich dergestalt schämte, daß ich von dort hinweg auf Lippstadt lief, und bei den Hessen Dienst nahm, verblieb aber auch daselbst nicht lang, weil man mir nit traute, sondern trabte fürders in holländische Dienste, allwo ich zwar richtigere Bezahlung: aber einen langweiligen Krieg für mein Humor fand, denn da wurden wir eingehalten wie die Mönche, und sollten züchtig leben als die Nonnen.

Weil ich mich denn nun weder unter Kaiserlich-, Schwedisch-, noch Hessischen nicht mehr durfte sehen lassen, ich hätte mich denn mutwillig in Gefahr geben wollen, indem ich bei allen dreien ausgerissen, zumal unter den Holländern nicht länger zu bleiben hatte, weil ich ein Mägdlein mit Gewalt entunehrt hatte, welches allem Ansehen nach in Bälde seinen Ausbruch nehmen würde, gedachte ich meine Zuflucht bei den Spanischen zu haben, der Hoffnung, von denselben heimzugehen, und zu sehen, was meine Eltern[368] machten. Aber als ich solches ins Werk zu setzen ausging, wurde mir der Kompaß so verrückt, daß ich unversehens unter die Bayrischen geriet, mit denselben marschierte ich unter den Merode-Brüdern aus Westfalen bis ins Breisgau, und ernährte mich mit Spielen und Stehlen, hatte ich etwas, so lag ich bei Tags damit auf dem Spielplatz, und bei Nacht bei den Marketendern, hatte ich aber nichts, so stahl ich hinweg was ich kriegen konnte, ich stahl oft auf einen Tag zwei oder drei Pferd, beides von der Weid und aus den Quartiern, verkaufte und verspielte hinwieder, was ich löste, und minierte alsdann bei Nacht den Leuten in die Zelt, und zwackte ihnen ihr Bestes unter den Köpfen hervor. War es aber auf dem Marsch, so hatte ich an den engen Pässen ein wachtsames Aug auf die Felleisen, so die Weiber hinter sich führten, die schnitt ich ab, und brachte mich also durch, bis das Treffen vor Wittenweier vorüberging, in welchem ich gefangen, abermal unter ein Regiment zu Fuß gestoßen, und also zu einem weimarischen Soldaten gemacht wurde; es wollte mir aber im Lager vor Breisach nicht gefallen, darum quittierte ichs auch beizeiten, und ging davon für mich selbst zu kriegen, wie du denn siehest, daß ich tue. Und sei versichert Bruder, daß ich seithero manchen stolzen Kerl niedergelegt, und ein herrlich Stück Geld prosperieret habe, gedenke auch nicht aufzuhören, bis daß ich sehe, daß ich nichts mehr bekommen kann. Jetzund nun wirds an dir sein, daß du mir auch deinen Lebenslauf erzählest.«

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 366-369.
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