[588] RELATION JOAN CORNELISSEN VON HARLEM


eines Holländischen Schiff-Capitains an

German Schleiffheim von Sulsfort,

seinen guten Freund, vom

Simplicissimo


Das 24. Kapitel

Ioan Cornelissen ein holländischer Schiff-Kapitän kommt auf die Insel, und macht mit seiner Relation diesem Buch einen Anhang


Es weiß sich ohnzweifel Derselbe noch wohl zu erinnern, wasmaßen ich bei unserer Abreis versprochen, Ihm die allergrößte Rarität mitzubringen, die mir in ganz India, oder auf unserer Reis zustehe; nun habe ich zwar etliche seltsamen Meer- und Erdgewächs gesammelt, damit der Herr wohl sein Kunstkammer zieren mag; aber was mich am allermehresten verwunderungs- und aufhebenswert zu sein bedünket, ist gegenwärtiges Buch, welches ein hochteutscher Mann in einer Insel gleichsam mitten im Meer allein wohnhaftig, wegen Mangel Papiers aus Palmblättern gemacht und seinen ganzen Lebenslauf darin beschrieben; wie mir aber solches Buch zuhanden kommen, auch was besagter Teutscher für ein Mann sei, und was er für ein Leben führe, muß ich dem Herrn ein wenig ausführlich erzählen, ob er zwar selbst solches in gemeldtem seinem Buche ziemlichermaßen an Tag gegeben.

Als wir in den molukkischen Inseln unsere Ladung völlig bekommen, und unsern Lauf gegen das Caput bonae Esperanzae zu nahmen, spüreten wir daß sich unsere Heimreise nicht beschleunigen wollte, wie wir wohl anfangs gehofft, da die Winde mehrenteils contrari und so variabel gingen, daß wir lang umgetrieben und aufgehalten wurden; wessentwegen denn alle Schiff aus der Armada merklich viel Kranke bekamen; unser Admiral tat ein Schuß,[588] steckt' eine Flaggen aus und ließ also alle Capitains von der Flott auf sein Schiff kommen, da wurde geratschlagt und beschlossen, daß man such die Insel S. Helena zu erlangen, und daselbsten die Kranken zu erfrischen und anständiges Wetter zu erwarten; item es sollten (wenn die Armada vielleicht durch Ungewitter, dessen wir uns nit vergebens vorsahen, zertrennt würde) die ersten Schiff so an bemeldte Insel kamen eine Zeit von vierzehn Tagen auf die übrigen warten, welches denn wohl ausgesonnen und beschlossen worden; maßen es uns erging wie wir besorgt hatten, indem durch einen Sturm die Flotte dergestalt zerstreut wurde, daß kein einziges Schiff bei dem andern verblieb; als ich mich nun mit meinem anvertrauten Schiff allein befand, und zugleich mit widerwärtigem Wind, Mangel an süßem Wasser und vielen Kranken geplagt wurde, mußte ich mich kümmerlich mit Lavieren behelfen, womit ich aber wenig ausrichtete, mehrbesagte Insel Helenae zu erlangen (von der wir noch 400 Meilen zu sein schätzten), es hätte sich denn der Wind geändert.

In solchem Umschweifen und schlechten Zustand, in dem es sich mit den Kranken ärgert' und ihrer täglich mehr wurden, sahen wir gegen Osten weit im Meer hinein unsers Bedünkens einen einzigen Felsen liegen, dahin richteten wir unseren Lauf, der Hoffnung, etwa ein Land der Enden anzutreffen, wiewohl wir nichts dergleichen in unseren Mappen angezeigt fanden, so der Enden gelegen; da wir uns nun demselben Felsen auf der mittnächtigen Seiten näherten, schätzten wir dem Ansehen nach daß es ein steinichtigs hohes unfruchtbares Gebirg sein müßte, welches so einzig im Meer läge, daß auch an derselben Seiten zu besteigen oder daran anzulanden unmöglich schien; doch empfanden wir am Geruch, daß wir nahe an einem guten Geländ sein müßten, bemeldtes Gebirg saß und floh voller Vögel, und indem wir dieselben betrachteten, wurden wir auf den höchsten Gipfeln zweier Kreuz gewahr, daran wir wohl abnehmen konnten, daß solche durch menschliche Händ aufgerichtet worden, und dannenhero das Gebirg wohl zu besteigen wäre; derowegen schifften wir oft hinum und[589] fanden auf der andern Seiten des gemeldten Gebirgs ein zwar kleines, aber solches lustiges Geländ, dergleichen ich mein Tage weder in Ost- noch Westindien nicht gesehen; wir legten uns zehn Klafter tief auf den Anker in guten Sandgrund, und schickten einen Nachen mit acht Mann zu Land, um zu sehen, ob daselbsten keine Erfrischung zu bekommen.

Diese kamen bald wieder und brachten einen großen Überfluß von allerhand Früchten, als Zitronen, Pomeranzen, Kokos, Bonanes, Batates, und was uns zum höchsten erfreute, auch die Zeitung mit sich, daß trefflich gut Trinkwasser auf der Insel zu bekommen; item, ob sie zwar einen Hochteutschen auf der Insel angetroffen, der allem Ansehen nach sich schon lange Zeit allda befunden, so laufe jedoch der Ort so voller Geflügel, die sich mit den Händen fangen lassen, daß sie den Nachen voll zu bekommen und mit Stecken totzuschlagen getraut hätten; von gemeldtem Teutschen glaubten sie, daß er irgends auf einem Schiff ein Übeltat begangen, und dannenhero zur Straf auf diese Insel gesetzt worden; welches wir denn auch dafür hielten; überdas sagten sie für gewiß, daß der Kerl nicht bei sich selbst, sondern ein purer Narr sein müßte, als von welchem sie keine einzige richtige Red und Antwort haben mögen.

Gleichwie nun durch diese Zeitung das ganze Schiffsvolk, insonderheit aber die Kranken herzlich erfreut wurden, also verlangt' auch jedermann aufs Land, sich wiederum zu erquicken; ich schickte derowegen einen Nachen voll nach dem andern hin, nit allein den Kranken ihre Gesundheit wieder zu erholen, sondern auch das Schiff mit frischem Wasser zu versehen, welches uns beides not war; also daß wir mehrenteils auf die Insel kamen; da fanden wir mehr ein irdisch Paradeis als einen öden unbekannten Ort! ich vermerkte auch gleich, daß bemeldter Teutscher kein solcher Tor sein müßte, viel weniger ein Übeltäter, wie die Unserigen anfangs dafür gehalten; denn alle Bäum, die von Art eine glatte Rinden trugen, hatte er mit biblischen und anderen schönen Sprüchen gezeichnet, seinen christlichen Geist dadurch aufzumuntern, und das Gemüt zu Gott zu erheben;[590] wo aber keine ganzen Sprüche standen, da befanden sich wenigst die vier Buchstaben der Überschrift Christi am Kreuz, als INRI oder der Name Jesu und Mariae, als irgends nur ein Instrument des Leidens Christi, daraus wir mutmaßeten, daß er ohne Zweifel ein Papist sein müßte, weil uns alles so päpstisch vorkam; da stand memento mori auf Latein, dorten Ieschua Hanosri Melech Haijehudim auf hebräisch, an einem andern Ort dergleichen etwas auf griechisch, teutsch, arabisch oder malaisch (welche Sprach durch ganz Indien gehet) zu keinem anderen Ende, als sich der himmlischen göttlichen Dinge dabei christlich zu erinnern; wir fanden auch seines Kameraden Grabmal, davon dieser Teutsche selbst in seines Lebens Erzählung Meldung tut, nicht weniger auch das dritte Kreuz, welches sie beide am Ufer des Meers miteinander aufgerichtet, wessentwegen denn unser Schiffvolk den Ort (vornehmlich weil sie gleichsam an allen Bäumen auch Kreuz eingeschnitten fanden) die Kreuz-Insel nannten; doch waren uns alle solche kurzen und sinnreichen Sprüch lauter räterisch und dunkele Oracula, aus denen wir aber gleichwohl abnehmen konnten, daß ihr Autor kein Narr, sondern ein sinnreicher Poet, insonderheit aber ein gottseliger Christ sein müßte, der viel mit Betrachtung himmlischer Ding umgehe; folgender Reim, den wir auch in einem Baum eingeschnitten fanden, bedünkte unseren Siechentröster, der mit mir herumging, und viel aufschrieb was er fand, der vornehmste zu sein, vielleicht weil er ihm was Neues war, er lautet also:


Ach allerhöchstes Gut! du wohnest so im finstern Licht!

Daß man vor Klarheit groß, den großen Glanz kann sehen nicht.


Denn er, der Siechentröster, welcher ein überaus gelehrter Mann war, sagte: »So weit kommt ein Mensch auf dieser Welt und nicht höher, es wolle ihm denn Gott das höchste Gut aus Gnaden mehr offenbaren.«

Indessen durchstrich meine gesunde Schiff-Bursch die ganze Insel, allerhand Erfrischungen für sich und die Kranken zusammenzubringen und bemeldten Teutschen zu suchen,[591] den alle Prinzipale des Schiffs zu sehen und mit ihm zu konferieren ein groß Verlangen trugen; sie trafen ihn dennoch nicht an, aber wohl ein ungeheure Höhle voller Wasser im Steinfelsen, darin sie schätzten daß er sein müßte, weil ein ziemlich enger Fußpfad hineinging, in dieselbe konnte man aber wegen des darin stehenden Wassers und großer Finsternis nicht kommen; und wenn man gleich Fackeln und Pechring' anzündete, sich damit zu behelfen, und die Höhle zu visitieren, so löschte jedoch alles aus, ehe sie ein halben Steinwurf weit hineinkamen, mit welcher Arbeit sie viel Zeit umsonst hinbrachten.

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 588-592.
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