Das I. Kapitel.

Was vor eine schwer verdäuliche Veranlassung den Autor zu Verfassung dieses Werkleins befördert.

Als ich verwichne Weihnachtmeß in eines vornehmen Herrn Hof mit höchstverdrießlicher Patienz umb eine Resolution zu erlangen aufwartete auf eine Supplikation, darinnen ich gar beweglich umb einen Schreiberdienst gebetten und in derselben meinen hohen Fleiß mit den allerandächtigsten Worten gerühmt, auch die Beständigkeit meiner unvergleichlichen Treu genugsam versichert hatte, gleichwohl aber der gewünschte Bescheid dermaleins nicht kommen wollte, siehe, da wurde ich noch viel ungedultiger, vornehmlich als ich sahe, daß die schmutzige Kuchen- und stinkende Stallratzen in ihrer Ästimation passiert, ich aber wie ein ungesalzener Stockfisch, den man auch keiner fernerer Versuchung würdigt, verachtet wurde. Ich hatte damals allerlei Gedanken und grillenhaftige Einfäll, und wie ich in erstgedachter Bursche höhnischen Angesichtern lesen konnte, bedunkte mich, sie würden sich endlich underfangen, mir den Hut zu drehen und den Kunzen mit mir zu spielen, wann ich entweder nicht bald ein angenehme Resolution kriegte oder ohne dieselbige von mir selbst darvongienge. Bald sprach ich mir wiederumb ein anders zu und versichert mich selbst eines weit bessern Ausgangs. »Gedult, Gedult!« sagte ich zu mir, »gut Weil will Ding haben (dann ich brachte alles das Hinderst zum Vördersten vor, weil ich ganz verwirret ware); erlangst du diesen Dienst, so kannst du diesen Schindhunden diese Fachtung schon eintränken.« Ich wurde aber nicht allein von diesen unerträglichen innerlichen Anfechtungen, sonder auch von der damaligen grimmigen Kälte von außenhero dergestalt geplagt, daß ein jeder, der mich gesehen und die Kält nit selbst empfunden, tausend Eid geschworen hätte, ich wäre mit einem 3- oder 4tägigen Fieber behaft. Das Gesind liefe hin und wieder, ohne daß sie meiner viel geachtet oder mich besprochen. Als ich mich aber am allerbesten mit guter Hoffnung speisete und aufenthielte, da wurde ich eines[117] holdseligen Kammerkätzchens gewahr; deren schenkte ich gleich mein Herz; dann als sie recta gegen mich gieng, konnte ich mir nichts anders einbilden, als dieses wäre ein ohnzweifelbares Omen, daß ich ihr Serviteur werden würde. Das Herz hupfte mir gleichsam vor Freuden, weil mich der Wahn einer solchen künftigen Glückseligkeit versicherte. Da sie aber zu mir kam und ihr kirschenrotes Mäulchen auftät, sagte sie: »Guter Freund, was habt Ihr hier zu tun? Seid Ihr vielleicht ein armer Schüler, der etwan ein Almosen begehrt?« Da gedachte ich gleich: »Diese Wort schlagen alle deine Hoffnung zu Boden!« Dann weil wir Schreiber ebenso hoffärtige Geister, was sage ich hoffärtige? ich will sagen, gleich so großmütige Sinne haben und besitzen, als etwan die Schneider selbsten, die sich bei großen Herren zutäppisch machen, wann sie erstlich ihre Kammerdiener und entlich zu ihren Herrn (man denke doch nur, wie verwirrt ich damals in mir selbst gewesen, weil ich noch jetzt alles so irrig und verwirrt vorbringe); ich hatte sagen wollen, zu Herrn werden (dann große Herren werden ja weder Schreiber noch Schneider über sich zu Herrn setzen), als bedunkte mich, die Jungfer sollte sich nach meiner Einbildung akkommodiert und gesagt haben: »Was beliebt meinem hochgeehrten Herrn? oder was verlangt derselbe hier vor Geschäfte zu verrichten?« Nun was bedarfs vieler Wort? Ich wurde ganz bestürzt und konnte die Jungfer doch keiner Unbescheidenheit beschuldigen, weil sie ihre Frag mit einer wohlständigen Red vorgebracht; auch konnte ich kaum so viel Wort in meinem Capitolio (so der alten Römer Rüst- und Waffenkammer gewesen) aus allem Vorrat, den ich darinnen hatte, zusammenbringen, diesem ersten Streich, der mir empfindlicher als eine dichte Maulschell vorkam, der Gebühr nach zu begegnen: doch lallete ich endlich mit meiner aus Forcht, Hoffnung und Kälte verursachter zitterender oder babender Stimme so viel daher, daß ich derjenig Monsieur wäre, der auf Rekommendation ehrlicher Leute ihres Herrn Schreiber zu werden verhoffte. »Ach mein gar lieber Gott!« antwortet das Rabenaas, »ist Er derselbig? Ach, Er schlage solche Gedanken aus dem Sinn, dann ein solcher, der den Dienst haben will, welchen Er verlangt, muß meinem gnädigen Herren entweder umb 1000 Taler gesessen sein oder umb solche Summa einen Bürgen stellen. Mir ist allbereit vor dreien Tagen ein halber Reichstaler gegeben worden, ihme solchen zuzustellen, wann er sich anmeldet, und unser los Gesind hat mir nit einmal gesagt, daß Ihr da seiet; ich wollte Euch sonst so lang in dieser Kälte nit haben stehen lassen.« Man kann leicht gedenken, was ich[118] damal vor eine Nase hatte. Ich gedachte: »Halt, da schlag Venus zu, so darf Vulcanus eines Knechts weniger!« Ich hatte gar nit den Willen, angeregten halben Taler zu nemmen, maßen ich mich auch drum wehrete, weil ich mir einbildete, solche Abfertigung wäre meiner schreiberischen Reputation schimpflich und zuwider; doch gedachte ich: »Wer weiß, wo dir dieser Herr noch eine Gnad erweisen kann?« schob ihn derowegen in Sack und faßte eine Hoffnung, mit der Zeit durch die liebe Gedult den gebettenen Dienst noch zu erlangen, welchen ich mitsambt des Herrn Gnad verscherzen würde, wann ich so trutzig und halsstärrig dies geringe Gelt ausschlug.

Solchergestalt nahm ich meine Abfertigung, und die Jungfer selbst gab mir das Geleid bis under das Tor, weil sie dasselbe als gegen dem Mittagimbs gleich zu beschließen willens. Da machten wir nun nach als mithin wegen des halben Talers unsere Komplimenten, under welchen der Jungfer diese Wort entfuhren: »Er nehme ihn nur kecklich hin und versichere sich, daß mein gnädiger Herr und Frau auch das Geringste, so ihnen zu Dienst geschiehet, nit unbelohnt lassen, und sollte ihnen einer nur auf die Heimlichkeit mit einem Liecht vorgehen.« Das verdrosse mich so grausam übel und jagte mich so in Harnisch, daß ich der Jungfer mehr unbescheiden als vernünftig antwortet: »So saget Eurem gnädigen Herrn,« sprach ich, »wann er mir einen jeden s. h. Arschwisch, darzu er meine Supplikation unweislich brauchen möchte, ehe er sie gelesen, so teuer bezahlen wolle, so werde es ihm ehender an Geld als mir an Papier, Federn und Tinten manglen.« Darauf trollte ich mich eine lange Gasse hinauf vor Zorn mehr unsinnig als ohnwillig. Ich wußte es denen, so mich in litteris abgeführt hatten, so wenig Dank, daß mich auch reuete, daß ich meinen Präceptoribus mit dem Hindern nit ins Angesicht geloffen, wann sie mir etwan zuzeit einen Produkt geben. »Ach,« sagte ich, »warumb haben dich doch deine Eltern nicht ein Handwerk oder Dröschen, Strohschneiden oder dergleichen so etwas lernen lassen, so hättest du ja jetzunder auch bei jedem Bauren Arbeit und dörftest nicht vor großen Herren tun stehen, ihnen zu schmeicheln? Könntest doch nur jetz das allerverächtlichste Handwerk, das sein mag, so fändest du gleichwohl Meister, die dich des Handwerks halber aufnähmen und dir das Geschenk hielten, wann sie dir gleich keine Arbeit gäben etc. In diesem deinem Stand nimbt sich aber kein Mensch deiner an, und bist der allerverachteste Bärnhäuter, der sein mag!« In diesem meinem Unwillen passierte ich ein weiten Weg; gleichwie mir aber der Zorn nach und nach vergieng,[119] also empfande ich die damalige grausame Kälte je länger je mehr, deren ich bishero so hoch noch nit geachtet hatte. Ja sie quälte mich dergestalt, daß ich nach einer warmen Stub seufzete; und demnach eben ein Wirtshaus gegen mir stunde, gienge ich mehr der Wärme halber hinein als den Durst zu löschen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 114-115,117-120.
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