Das II. Kapitel.

Conjunctio Saturni, Martis & Mercurii.

[120] Daselbst wurde ich viel höflicher empfangen als von obengedachter höflichen Jungfrauen; dann der Hausknecht kam gleich und fragte: »Was beliebt dem Herrn?« Ich gedachte zwar heut diesen ganzen Tag der Schreiberdienst, jetzt aber der Stubenofen, sagte aber doch zu ihm: »Ein gute halb Maß Wein!«, die er mir auch gleich langte, dann es war lein Badstub, darin man die Hitz bezahlte, sonder ein Ort der Zehrung, darin man die benötigte Wärme umsonst hatte oder wenigst in die Zech rechnete.

Ich setzte mich mit meiner halben Maß Wein sehr nahe zum Ofen, umb mich rechtschaffen auszubächeln, allwo sich an ebendemselbigen Tische ein Mann befande, der im Pfenningwert zehrete und dreschermäßigerweis mit beiden Backen so gewaltig zuhiebe, daß ich mich darüber verwunderte; er hatte allbereit eine Supp im Magen und vor zwei Kraut und Fleisch allerdings aufgerieben, da ich hinkam, und fragte noch darzu nach einem guten Stuck Gebrattens, welches verursachte, daß ich ihn besser betrachtete. Da sahe ich, daß er nicht nur zum Fressen, sondern auch an der Gestalt viel ein anderer Mensch war, als ich mein Lebtag jemals einen gesehen. Dann von Proportion des Leibs war er so groß, als wäre er in Chili oder Chica geboren worden; sein Bart war ebenso lang und breit als des Wirts Schiffertafel, dahin er der Gäste aufgetragene Zehrung annotierte; die Haupthaar aber kamen mir vor wie diejenige, die ich mir etwan hiebevor eingebildet, daß Nabuchodonosor dergleichen in seiner Verstoßung getragen habe. Er hatte einen schwarzen Kittel an von wüllenem Tuch, der gieng ihm bis an die Kniekehlen, auf ein ganz fremde und beinahe auf die alte antiquitätische Manier mit grünen wüllen Tuch an den Nähten underlegt, gefüttert und ausgemacht. Neben ihm lag sein langer Pilgerstab, oben mit zweien Knöpfen und unden mit einem langen eisernen Stachel versehen, so dick und[120] kräftig, daß man einem gar leicht in einem Streiche die letzte Ölung damit hätt reichen mögen.

Ich vergaffte mich schier zum Narren über diesem seltsamen Aufzug, und indeme ich ihn je länger je mehr betrachtete, wurde ich gewahr, daß sein ungeheurer Bart ganz widersinns, das ist, wider die europäischen Bärt geart und gefärbt war; dann die Haar, so ererst bei einem halben Jahr gewachsen, sahen ganz falb, was aber älter war, brandschwarz, da doch hingegen bei andern Bärten von solcher Farb die Haar zunächst an der Haut ganz schwarz und die übrige je älter je falber oder wetterfärbiger zu erscheinen pflegen. Ich gedachte der Ursach nach und konnte keine andere ersinnen, als daß die schwarze Haar in einem hitzigen Lande, die falbe aber in einem viel kältern müßten gewachsen sein; und solches war auch die Wahrheit. Dann nachdem dieser auf sein Gebratens warten und also mit dem Essen ein wenig pausieren mußte, ließe ers über das Trinken gehen, da er dann nit weniger tun konnte, als mir eines zuzubringen, wann er anders haben wollte, daß ihm jemand den Trunk gesegnen sollte, weil ohne mich noch kein anderer Gast vorhanden; und demnach mir das Maul, welches die grausame Kälte ganz starrhart zugefrört hatte, auch nunmehr wieder ein wenig begunnte aufzutauen, siehe, da kamen wir gar miteinander in ein Gespräch, warin ich ihn zum allerersten fragte, ob er nicht erst vor ungefähr einem halben Jahr aus India kommen wäre. Doch damit er keine Ursach haben möchte zu antworten: »Was gehets dich an?« brachte ichs meines Bedunkens gar höflich vor, dann ich sagte: »Mein hochgeehrter Herr beliebe meiner vorwitzigen Jugend zu vergeben, wann sie sich erkühnet zu fragen, ob derselbe nicht allererst vor einem halben Jahr aus India kommen?« Er verwundert sich, sahe mich an und antwortet: »Wann Ihr sonst keine Nachricht und Kundschaft von meiner Person habt, als daß Ihr mich jetzt das erstemal sehet, so messe ich Eurer Jugend keinen Vorwitz, sonder einen rechtschaffnen Verstand und ein solches Judicium zu, welche beide eine Begierde in Euch erwecken, dasjenig eigentlich zu wissen, was Euer Verstand von mir gefaßt und das Judicium beschlossen habe. Derowegen sagt mir zuvor, woraus Ihr abgenommen, daß ich vor einem halben Jahr noch in India gewesen, so will ich Euch hernach zu vernehmen geben, daß Ihr von mir und meiner Reise recht geurteilet.« Als ich ihm nun sagte, daß mir die Haar seines Barts solches zu verstehen geben, antwortet er, ich hätte recht und damit an Tag gelegt, daß noch mehr als nur dieses hinder mir stecke.[121]

Hierauf mahnet er mich, Bescheid zu tun; dieweil er aber seinen Wein mixtiert, scheuete ich mich zu trinken, dann er hatte aus seinem Sack ein zinnern Büchse gezogen, in deren ein Elektuarium war, das allerdings dem Theriak gleichsahe. Aus derselben nahm er eine Messerspitze voll derselbigen Materi und mischets under ein gemeines Trinkgläslein neuen Wein (dann er trank kein alten, sonder nur neuen Zweenbatzenwein), davon er so dick und gelb wurde, daß er schier einer widerwärtigen Purgation oder doch wenigest einem alten Baumöl sich vergliche. Wann er nun trinken wollte, so gosse er jederzeit ein einzigen Tropfen hiervon in das Glas, davon der milchfarbe neue Wein sich alsobalden veränderte, alle noch in sich habende unverjorne Fäces zu Boden fallen ließe und wie ein alter abgelegner Wein von Farb dem Gold gleich erschiene. Er sahe wohl, daß ich keinen sonderlichen Lust zu seinem Getränk trug, sagte derowegen, ich sollte kecklich trinken, es würde mir nichts schaden; und als ich mich überreden ließe, den Wein zu versuchen, befande ich ihn so lieblich, kräftig und gut, daß ich ihn vor Malvasierer oder spanischen Wein getrunken hätte, wann ich nicht gesehen, daß es ein neuer Elsasser gewesen. Darauf erzählte er mir, daß er diese Kunst bei den Armeniern gelernet, und erwiese im Werk, daß ein alter abgelegener, sonst an sich selbst sehr köstlicher Wein, wie ich damal vor mir stehen hatte, von diesem Elixier, wie ers nennet, bei weitem nicht so gut wurde als ein gemeiner neuer. Dessen gab er Ursach, daß der neue seine Kräfte noch völliger beieinander und, wie in etlichen Jahren dem alten geschehen, noch nichts darvon verloren hätte.

Wie wir nun so von dem Wein und dieser Kunst miteinander diskutierten, da trat ein alter Kronzer mit einem Stelzfuß zur Stuben hinein, den die eingenommene Kälte auch gleich wie mich zum Stubenofen triebe. Er hatte sich kaum ein wenig gewärmet, als er ein kleine Diskantgeige hervorzog, dieselbe stimmte, vor unsern Tisch trate und eins daherstriche, worzu er mit dem Maul so artlich humset und quickeliert, daß einer, der ihn nur gehört und nicht gesehen, hätt glauben müssen, es wäre dreierlei Saitenspiel untereinander gewesen. Er war ziemlich schlecht auf den Winter gekleidet und hatte auch allem Ansehen nach keinen guten Sommer gehabt, dann sein magere Gestalt bezeugte, daß er sich mit den Schmalhansen betragen, und seine ausgefallene Haar, daß er noch darzu eine schwere Krankheit überstehen müssen. Der Schwarzrock, so bei mir saße, sagte zu ihm: »Landsmann, wo hast du dein anders[122] Bein gelassen?« – »Herr,« antwortet dieser, »in Kandia.« Darauf sagte jener: »Das ist schlimm!« – »O nein, nit so gar schlimm!« antwortet der Stelzer, »dann jetzt freurt mich nur an ein Fuß, und ich bedarf auch nur einen Schuch und einen Strumpf.« – »Höre!« sagte der im schwarzen Rock ferner, »bist du nit der Springinsfeld?« – »Vorzeiten«, antwortet dieser, »war ichs, aber jetz bin ich der Stelzvorshaus nach dem gemeinen Sprichwort: ›Junge Soldaten, alte Bettler!‹ Aber wie kennet mich der Herr?« – »An deiner artlichen Musik,« antwortet jener, »als welche ich bereits vor mehr als dreißig Jahren zu Soest gehöret habe. Hast du nicht damals einen Kameraten gehabt under denen daselbst gelegenen Dragonern, der sich Simplicius genennet?« Da nun Springinsfeld solches bejahete, sagte der Schwarzrock: »Und ebenderselbe Simplicius bin ich!« hierüber sagte Springinsfeld vor Verwunderung: »Daß dich der Hagel erschlag!« – »Wie?« sprach Simplicius zu ihm, »schämest du dich nicht, daß du allbereit so ein alter Krüppel und dannoch noch so rohe, gottlos und ungeheißen bist, deinen alten Kameraten mit einem solchen Wunsch so zu bewillkommen?« – »Potz hunderttausend Sack voll Enten! du hasts gewiß besser gemacht,« sagte Springinsfeld, »oder bist du seither vielleicht zu einem Heiligen worden?« Simplicius antwortet: »Wann ich gleich kein Heiliger bin, so hab ich mich doch gleichwohl beflissen, mit Aussammlung der Jahr die böse Sitten der unbesonnenen Jugend abzulegen, und bin der Meinung, solches würde deinem Alter auch anständiger sein als fluchen und gotteslästern.« – »Mein Bruder,« antwortet Springinsfeld gar ehrerbietig, »vergebe mir vor diesmal und sei mit mir zufrieden! Ich begehr mit dir um nichts (es seien dann etwan ein paar Kändel Wein) zu disputieren.« Und indem er sich unter diesen Worten ganz ungeheißen zu uns an Tisch gesetzt hatte, zog er einen alten Lumpen hervor, knüpfte denselbigen auf, ferners sagende: »Und damit du nicht etwan vermeinen möchtest, der bettelhafte Springinsfeld wollte bei dir schmarotzen, so sehe, hier hab ich auch noch ein paar Batzen, die zu deinen Diensten stehen.« Und damit schütte er eine handvoll Dukaten auf den Tisch, welche ich etwas mehr als 200 zu sein schätzte, und befahl dem Hausknecht, ihme auch eine Maß Wein herzubringen, welches aber Simplicius nicht zugeben wollte, sonder brachte ihm eins und sagte, was es des Geprängs mit dem Gelde viel bedörfte, er sollte es nur wieder einstecken, weil er dergleichen wohl mehr hätte gesehen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 120-123.
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