Vber des Herren Jesu todten Leichnamb

[6] Ach weh! was seh Ich hier ein außgestreckte Leichen/

An der man von fuß auff nichts vnzerschlagen find/

Die Seit auß der das Blutt mit vollen Strömen rinnt;

Die Wangen so von Schmertz vñ Todes-Angst erbleichen/

Wer hat dich so verletzt; Wer hat mit Geissel-streichen

Dich also zugericht? Welch grimmes Tyger-Kind

Hat Hand hier angelegt/ alß deine Glieder sind

Mit Nägeln gantz durchbort; wem sol ich dehn vergleichen/[6]

Der deine zarte Stirn mit Dornen so verschrenckt.

Mein Seelen Bräutigam/ vnd dich mit Gall getränckt?

Ach! diß hat deine Lieb vnd meine Schuld verübet/

Wofern mich deine Lieb nicht dich zu lieben trägt;

Wofern dein Ja ierbild mich nicht zu Schmertz bewegt;

So bin ich werth daß Ich dort Ewig sey betrübet.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 6-7.
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