16.
Auff den Sontag deß wachsenden Wortes/ oder den VI. nach dem Fest der Weisen. Math. 13.

[195] Kein Körnlein ist so klein/ als Senff vor vns zu schätzen/

Doch/ wenn es in die Schoß der feuchten Erden fällt

So wurtzelts eilend eyn/ vnd keimet in die Welt

Vnd wird ein hoher Baum/ der rund vmb allen Plätzen[195]

Deß Schattens Lust außtheilt. Denn eylet sich zu setzen

Manch Vogel umb den Ast/ der sich da sicher hält

Alsbald der Himmel plitzt alsbald man nach ihm stelt.

Ihn kan kein Wind/ kein Sturm/ kein Jägergarn verletzen.

So scheint deß Höchsten Wort in Menschen Augen klein

Doch kom'ts einmal ins Hertz/ so nimt's die Sinnen eyn

Vnd läßt bald Stock vnd Zweig/ vnd Blütt' vnd Früchte schauen.

Der vnter diesem Baum bey trüber Wetters-Zeit

Ihm Zuflucht außerkiest/ dem wird vors Windes Streit/

Vors Teuffels Vogel-Netz/ vor's Todes Pfeyl nicht grauen.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 195-196.
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