47.
Auff den Sontag deß mitleidenden Eyvers/ oder X. Sontag nach dem Fest der H. Dreyeinigkeit. Luc. 19.

[213] Ach mein Licht! wo rührt es her? daß du' dich so hoch betrübest?

Meine Lust! was kräncket dich? was beschwehr't dein sanfftes Hertz?

Bin ich schuld an dieser Angst/ daß ich vnbedacht verschertz

Diese Gnadenzeit/ in der du mir raum zur Busse giebest?

Ich erkenn' ich bin nicht werth/ daß du heimsuchst; daß du liebest

Meine blind vnd taube Seel! ach all-sichtb're Lebenskertz!

Ach entdecke mir die Noht/ der gehäufften Plagen-Schmertz/

Die mit grimmen Donner tob't/ wenn du Rach vnd Zorn verübest!

Schaue mich dein Zion an/ treib mit scharffen Geisseln auß'

Meiner Sünden Krämerey/ die mein Hertz/dein eigen Haus

Gleich den Mörder-Gruben macht/ wenn du diesen Tand geräumet/

Wenn du in mir lehren wirst; werd' ich aller Rach entgehn

Vnd was zu dem Friede dient: weil der Friede blüht verstehn

Auch einbringen was bißher/ meine Trägheit hat versäumet.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 213.
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